Vor Gericht stehen die Enthüller des Steuerskandals Recht auf Wahrheit
Sie machten dubiose Vergünstigungen für Großkonzerne in Luxemburg öffentlich, jetzt drohen ihnen lange Haftstrafen
Nach dem Bekanntwerden günstiger Steuerdeals in Luxemburg wird jetzt vor Gericht abgerechnet – mit den Enthüllern. Verantworten müssen sich zwei Ex-Unternehmensberater und ein Journalist.
Luxemburg/Brüssel. An die Skandale hat man sich fast schon gewöhnt. Nur anderthalb Jahre nach den Enthüllungen um Absprachen von 340 Unternehmen mit der luxemburgischen Steuerbehörde erfährt die Welt von mehr oder minder legalen Briefkastenfirmen prominenter Politiker und Unternehmer in Panama. Und während man sich noch darüber streitet, wann der dafür geplante Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament seine Arbeit aufnehmen soll, ist die Affäre um die extrem hohen Steuervergünstigungen in Luxemburg für MultimilliardenKonzerne wie Amazon noch immer nicht vollständig aufgeklärt.
Stattdessen muss sich seit gestern der Whistleblower Antoine Deltour vor dem Obersten Gericht in Luxemburg verantworten. Sein ehemaliger Arbeitgeber, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, hat ihn verklagt – wegen Diebstahls und der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Dabei war das Beratungsunternehmen maßgeblich am Entwurf der Konzepte beteiligt. Deltour soll dort sogenannte „Tax Rulings“(Steuerabsprachen) kopiert haben. Dem Franzosen drohen nun bis zu zehn Jahre Haft. Angeklagt ist neben einem weiteren Ex-Mitarbeiter von PwC auch Edouard Perrin, der als erster Journalist über den Skandal berichtet hatte. „Das ist eine völlig absurde Veranstaltung“, echauffierte sich der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament, Sven Giegold, im Gespräch mit der SZ: „Die Diebe zeigen den Überbringer der Wahrheit an.“Giegold wurde von der Verteidigung Deltours als Zeuge geladen und soll womöglich schon heute aussagen. „Es kann nicht sein, dass das bislang einzige Ergebnis nach der Affäre sich darauf beschränkt, dass die Regierung Luxemburgs aus der Schusslinie ist, gleichzeitig aber die Whistleblower angeklagt werden“, erklärten Giegolds Kollegen Werner Langen (CDU) und Markus Ferber (CSU) gestern.
Unterdessen kämpft der Sonderausschuss im Parlament weiter um Aufklärung. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt war Kommissionspräsident JeanClaude Juncker als früherer langjähriger Finanzminister Luxemburgs unter Beschuss geraten, seine politischen Freunde verhinderten damals einen Untersuchungsausschuss – ein weitaus schärferes Instrument als das jetzige Sondergremium. Denn es kann Minister oder Firmenchefs nur ein-, aber nicht verbindlich vorladen. Dokumente müssen angefragt werden.
Bis heute wurde ein großer Teil der angeforderten Papiere aus den Ministerien der Mitgliedstaaten nicht übermittelt. Dennoch ist Giegold guter Hoffnung, dass der Ausschuss seine Arbeit zu Ende bringen kann: . „Es sind schon einige neue Dokumente eingetroffen – und die enthalten eine ganze Reihe weiterer
Antoine Deltour beteuerte gestern zu Beginn des Gerichtsverfahrens seine Unschuld.
Schweinereien.“Denn nicht nur Luxemburg, sondern auch andere EU-Länder haben mit günstigen Steuerkonditionen große Unternehmen zu locken versucht. Und damit Steuerverluste in Milliardenhöhe hingenommen. So hatte der Onlinehändler Amazon durch Umschichtungen auf Tochterkonzerne den Regelsteuersatz von 29 Prozent auf weniger als ein halbes Prozent gedrückt – europaweit.
Viel Zeit bleibt dem Gremium jedoch nicht mehr. Denn das zweite Mandat läuft im August aus. Der SPD-Abgeordnete Peter Simon sprach sich für vollständige Aufklärung aus. „Wir brauchen ein Mehr an Ermittlungen“, betonte er. Dies könne aber auch durch Einbindung in den geplanten U-Ausschuss zu den „Panama Papers“geschehen. In der Volksvertretung ist man sich allerdings noch uneins, wann das Gremium seine Arbeit aufnehmen soll. Immerhin scheint sich ein Konsens für einen weiteren Gesetzesentwurf abzuzeichnen: zum Schutz von Whistleblowern.
Es wird höchste Zeit, dass Whistleblower europaweit den gleichen Schutz genießen – nicht, um Firmenkonzepte an Konkurrenten zu verraten. Sondern, um dazu beizutragen, dass Steuerskandale, wie sie die EU in den vergangenen Jahren erschüttert haben, zumindest eine Chance bekommen, aufgeklärt zu werden. Das sollte auch im Interesse der Mitgliedstaaten sein. Schließlich sind sie es, die mit ihrem unlauteren Steuerwettbewerb untereinander jährlich auf Milliarden verzichten. Bürger, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, die ihre Steuern nicht auf Tochterfirmen umlegen können, haben dafür keinerlei Verständnis. Es wäre ein Leichtes, damit aufzuräumen. Und ein Zeichen zu setzen. Dafür, was Europa leisten kann, wenn es zusammen statt gegeneinander arbeitet.