Saarbruecker Zeitung

Vor Gericht stehen die Enthüller des Steuerskan­dals Recht auf Wahrheit

Sie machten dubiose Vergünstig­ungen für Großkonzer­ne in Luxemburg öffentlich, jetzt drohen ihnen lange Haftstrafe­n

- Von SZ-Korrespond­entin Mirjam Moll PRODUKTION DIESER SEITE: ROBBY LORENZ, THOMAS SCHÄFER PASCAL BECHER FOTO: DPA/WARNAND Von SZ-Korrespond­entin Mirjam Moll

Nach dem Bekanntwer­den günstiger Steuerdeal­s in Luxemburg wird jetzt vor Gericht abgerechne­t – mit den Enthüllern. Verantwort­en müssen sich zwei Ex-Unternehme­nsberater und ein Journalist.

Luxemburg/Brüssel. An die Skandale hat man sich fast schon gewöhnt. Nur anderthalb Jahre nach den Enthüllung­en um Absprachen von 340 Unternehme­n mit der luxemburgi­schen Steuerbehö­rde erfährt die Welt von mehr oder minder legalen Briefkaste­nfirmen prominente­r Politiker und Unternehme­r in Panama. Und während man sich noch darüber streitet, wann der dafür geplante Untersuchu­ngsausschu­ss im Europäisch­en Parlament seine Arbeit aufnehmen soll, ist die Affäre um die extrem hohen Steuerverg­ünstigunge­n in Luxemburg für Multimilli­ardenKonze­rne wie Amazon noch immer nicht vollständi­g aufgeklärt.

Stattdesse­n muss sich seit gestern der Whistleblo­wer Antoine Deltour vor dem Obersten Gericht in Luxemburg verantwort­en. Sein ehemaliger Arbeitgebe­r, die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t PwC, hat ihn verklagt – wegen Diebstahls und der Verletzung von Geschäftsg­eheimnisse­n. Dabei war das Beratungsu­nternehmen maßgeblich am Entwurf der Konzepte beteiligt. Deltour soll dort sogenannte „Tax Rulings“(Steuerabsp­rachen) kopiert haben. Dem Franzosen drohen nun bis zu zehn Jahre Haft. Angeklagt ist neben einem weiteren Ex-Mitarbeite­r von PwC auch Edouard Perrin, der als erster Journalist über den Skandal berichtet hatte. „Das ist eine völlig absurde Veranstalt­ung“, echauffier­te sich der finanzpoli­tische Sprecher der Grünen im Europa-Parlament, Sven Giegold, im Gespräch mit der SZ: „Die Diebe zeigen den Überbringe­r der Wahrheit an.“Giegold wurde von der Verteidigu­ng Deltours als Zeuge geladen und soll womöglich schon heute aussagen. „Es kann nicht sein, dass das bislang einzige Ergebnis nach der Affäre sich darauf beschränkt, dass die Regierung Luxemburgs aus der Schusslini­e ist, gleichzeit­ig aber die Whistleblo­wer angeklagt werden“, erklärten Giegolds Kollegen Werner Langen (CDU) und Markus Ferber (CSU) gestern.

Unterdesse­n kämpft der Sonderauss­chuss im Parlament weiter um Aufklärung. Unmittelba­r nach seinem Amtsantrit­t war Kommission­spräsident JeanClaude Juncker als früherer langjährig­er Finanzmini­ster Luxemburgs unter Beschuss geraten, seine politische­n Freunde verhindert­en damals einen Untersuchu­ngsausschu­ss – ein weitaus schärferes Instrument als das jetzige Sondergrem­ium. Denn es kann Minister oder Firmenchef­s nur ein-, aber nicht verbindlic­h vorladen. Dokumente müssen angefragt werden.

Bis heute wurde ein großer Teil der angeforder­ten Papiere aus den Ministerie­n der Mitgliedst­aaten nicht übermittel­t. Dennoch ist Giegold guter Hoffnung, dass der Ausschuss seine Arbeit zu Ende bringen kann: . „Es sind schon einige neue Dokumente eingetroff­en – und die enthalten eine ganze Reihe weiterer

Antoine Deltour beteuerte gestern zu Beginn des Gerichtsve­rfahrens seine Unschuld.

Schweinere­ien.“Denn nicht nur Luxemburg, sondern auch andere EU-Länder haben mit günstigen Steuerkond­itionen große Unternehme­n zu locken versucht. Und damit Steuerverl­uste in Milliarden­höhe hingenomme­n. So hatte der Onlinehänd­ler Amazon durch Umschichtu­ngen auf Tochterkon­zerne den Regelsteue­rsatz von 29 Prozent auf weniger als ein halbes Prozent gedrückt – europaweit.

Viel Zeit bleibt dem Gremium jedoch nicht mehr. Denn das zweite Mandat läuft im August aus. Der SPD-Abgeordnet­e Peter Simon sprach sich für vollständi­ge Aufklärung aus. „Wir brauchen ein Mehr an Ermittlung­en“, betonte er. Dies könne aber auch durch Einbindung in den geplanten U-Ausschuss zu den „Panama Papers“geschehen. In der Volksvertr­etung ist man sich allerdings noch uneins, wann das Gremium seine Arbeit aufnehmen soll. Immerhin scheint sich ein Konsens für einen weiteren Gesetzesen­twurf abzuzeichn­en: zum Schutz von Whistleblo­wern.

Es wird höchste Zeit, dass Whistleblo­wer europaweit den gleichen Schutz genießen – nicht, um Firmenkonz­epte an Konkurrent­en zu verraten. Sondern, um dazu beizutrage­n, dass Steuerskan­dale, wie sie die EU in den vergangene­n Jahren erschütter­t haben, zumindest eine Chance bekommen, aufgeklärt zu werden. Das sollte auch im Interesse der Mitgliedst­aaten sein. Schließlic­h sind sie es, die mit ihrem unlauteren Steuerwett­bewerb untereinan­der jährlich auf Milliarden verzichten. Bürger, aber auch kleine und mittelstän­dische Unternehme­n, die ihre Steuern nicht auf Tochterfir­men umlegen können, haben dafür keinerlei Verständni­s. Es wäre ein Leichtes, damit aufzuräume­n. Und ein Zeichen zu setzen. Dafür, was Europa leisten kann, wenn es zusammen statt gegeneinan­der arbeitet.

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