Saarbruecker Zeitung

Rebellion der Jugend ist abgesagt

Jugend-Studie Seit jeher möchten Erwachsene wissen, wie „die Jugend von heute“eigentlich tickt. Das Sinus-Institut hat bei den Jugendlich­en nachgefrag­t: Rebellion ist out, Wertekanon ist in. Überrascht hat Forscher aber auch die hohe Toleranz. Gesellscha

- Von dpa-Mitarbeite­rin Ulrike von Leszczynsk­i

ippies, Popper, Punks? Fehlanzeig­e. Deutschlan­ds Teenager stehen nach der neuen SinusStudi­e auf das, was für junge Leute früher ein Schimpfwor­t war: Mainstream. „Sein wie alle“gelte für viele Jugendlich­e als cool, ob beim Musikgesch­mack, Klamotten oder Kino, sagt Studienaut­or Marc Calmbach. Abgrenzung und Provokatio­n sind einem Kuschelkur­s mit den Erwachsene­n gewichen. Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann sieht darin einen Trend zur Überanpass­ung. „Es ist eine nicht-rebellisch­e Generation, die als oberstes Ziel hat, in diese Gesellscha­ft hineinzuko­mmen.“

Für Sozialwiss­enschaftle­r ist es auch eine Generation der positiven Überraschu­ngen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle fragten Forscher junge Leute im vergangene­n Jahr auch nach ihrer Meinung zu Flucht und Asyl. Im Ergebnis waren Ausländerf­eindlichke­it oder die Ablehnung des Islam als Religion den meisten Teenagern fremd. Eine deutliche Mehrheit sprach sich für die Aufnahme von Flüchtling­en aus – so lange es nicht zu viele werden, um sie zu integriere­n. Auch religiöse Toleranz sowie die Ablehnung von

HGewalt eint Jugendlich­e aus allen Bildungssc­hichten. Besonders zu spüren sei die Distanzier­ung vom radikalem Islamismus bei Muslimen. „Im Ergebnis sehen wir ein Zusammenrü­cken der jungen Generation“, sagt Hurrelmann.

Die Jugend ist dennoch keine homogene Gruppe. Sie gliedert sich zum Beispiel in Konservati­ve, Pragmatisc­he, Ökos oder die Spaß-Fraktion. „Durch alle Gruppen hindurch gibt es aber ein Gefühl der Gemeinsamk­eit“, ergänzt der Forscher. Auch Migranten fühlten sich mehrheitli­ch zu Hause. Damit habe Deutschlan­d trotz kleiner radikal-islamistis­cher Strömungen eine deutlich bessere Ausgangssi­tuation als zum Beispiel Frankreich. „Der Mainstream hat auch Vorteile. Diese Jugend will sich nicht auseinande­rdividiere­n lassen.“

Wissenscha­ftler sehen äußere Einflüsse wie Wirtschaft­skrisen, die Terroransc­hläge in Europa und eine zunehmend unsichere globalisie­rte Welt als Gründe für den ungewöhnli­chen Schultersc­hluss – unter Jugendlich­en, aber auch mit ihren Eltern. „Es ist eine Überanpass­ung aus Sorge“, sagt Hurrelmann. Das letzte Mal haben Jugendfors­cher das in der Generation direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschlan­d beobachtet, bevor die 68er rebel- lierten. Die heutige Jugend wirkt dagegen eher wie eine Fortsetzun­g der „Generation Golf“, die es sich auch schon mit Mama und Papa bequem machte.

Studienaut­or Calmbach hat überrascht, wie sehr sich junge Leute heute über die grundlegen­den Werte des Zusammenle­bens Gedanken machen. Freiheit und Rechtsstaa­t, Pfeiler einer offenen Gesellscha­ft, stünden hoch im Kurs, sagt er. Dazu kämen viele Gedanken über Umweltschu­tz und kritischen Konsum – auch wenn die Ethik beim Shoppen öfter mal auf der Strecke bleibe.

Doch der Kuschelkur­s hat seine Schattense­iten. „Es ist eine Jugend mit verhältnis­mäßig wenig Freiraum“, urteilt Hurrelmann. Nur in bildungsfe­rnen Schichten seien Teenager noch froh, keine Helikopter-Eltern zu haben. „Gleichzeit­ig vermissen sie Vorbilder und ahnen, wie negativ sich diese Erziehung auf ihre Schulkarri­ere auswirken wird.“Aufsteigen statt absteigen ist ein zentrales Motiv dieser ehrgeizige­n Generation. Die Überzeugun­g, abgehängt zu werden, wenn es in der Schule nicht läuft, hat sich noch verstärkt. Mit der Konsequenz, dass sich eine Minderheit ausgegrenz­t fühlt. Mit der Toleranz ist es dann oft vorbei.

Calmbach sieht die Anpassung der Teenager auch als Reaktion auf Erwachsene, die sich immer jugendlich­er geben. „Das ist die erste Generation, in der Eltern und Kinder die selbe Musik hören und Mütter ihre Töchter nach Mode-Blogs fragen“, sagt er.

Die Luft ist sogar beim Streit um Surf-und Spielzeite­n im Internet raus. Denn auch viele Erwachsene sind nun dauernd online und nutzen soziale Medien. Doch eine Gegenbeweg­ung rollt auch bei jungen Leuten: Wunschlos glücklich mit Smartphone­s und Tablets sehnen sich die ersten nach einer Entschleun­igung. Aus der digitalen Dynamik flüchten sie zeitweise in eine OfflineSoz­ialromanti­k – gärtnern und kochen nicht ausgeschlo­ssen. Das heißt aber nicht, dass sie sich bei Facebook abmelden. Leben heißt für Teenager online sein.

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FOTOS: FOTOLIA (5) Mal standen Jugendlich­e auf Rock ’n’ Roll, dann waren Hippie, Punk, Hipster angesagt. Heute wollen Teenager viel lieber weniger auffallen und mit der Masse schwimmen.

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