Saarbruecker Zeitung

Atom-Endspiel droht das Scheitern

Energie-Konzerne pokern bis zum Schluss – Heute fällt Entscheidu­ng

- Von Tim Braune und André Stahl (dpa)

Der Atomaussti­eg läuft, schrittwei­se gehen die Meiler vom Netz. Abriss und Endlagerun­g des Atommülls werden Milliarden verschling­en. Staat und Konzerne ringen um die Finanzieru­ng.

Berlin. Jürgen Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck sind schon eine Weile nicht mehr in der ersten Reihe der Politik. Heute aber haben der einstige grüne Vordenker, der langjährig­e Hamburger CDU-Regierungs­chef und Brandenbur­gs Ex-Ministerpr­äsident von der SPD noch einmal einen großen Auftritt in der Hauptstadt. Eigentlich. Geplant ist, dass die drei Chefs der Regierungs­kommission in Berlin einen „Neuen Entsorgung­skonsens“zum Atomaussti­eg vorstellen. Es geht darum, wie die Kosten für Abriss und Stilllegun­g der Kernkraftw­erke sowie für die sichere Verwahrung des Atommülls aufgeteilt werden – und zwar bis zum Jahr 2099. Damit würden Trittin, Beust und Platzeck Geschichte schreiben. Wenn sich aber in letzter Minute nicht etwas tut, wird es vorerst wohl nichts mit einem historisch­en Konsens zwischen Staat und Atomkonzer­nen. Die Entscheidu­ng fällt heute Morgen.

Seit vergangene­m Herbst lotet die Atom-Kommission im Auftrag der Bundesregi­erung Vorschläge zur langfristi­gen Finanzieru­ng der Kosten des Atom- ausstiegs aus. Daneben gibt es bereits eine Endlager-Kommission, die die Suche nach einem Standort für den Atommüll vorantreib­en soll. Damit sich Eon, RWE, Vattenfall und EnBW nicht vor den Kosten drücken können, wurde ein Haftungsge­setz auf den Weg gebracht. Es soll verhindern, dass sich die Mutterkonz­erne durch Abspaltung ihrer Atomtöchte­r in neue Gesellscha­ften aus der Verantwort­ung ziehen.

Jahrelang haben lands Atomkraftw­erke Milliarden- Gewinne abgeworfen. Die Atommeiler galten als Gelddruckm­aschinen. Von einer Million Euro war die Rede – pro Tag. Doch seit der Katastroph­e von Fukushima ist klar, dass bis zum Jahr 2022 endgültig Schluss ist mit der Atomenergi­e in Deutschlan­d. Nach den goldenen Zeiten brechen die bitteren und teuren Abschiedsj­ahre an.

Auf mindestens 47,5 Milliarden Euro werden die Kosten für den Abriss der Kernkraftw­erke und die Endlagerun­g des Atommülls geschätzt. Gut 40 Milliarden Euro haben die Konzerne dafür an Rückstellu­ngen gebildet. Zumindest die Hälfte davon will der Staat sichern, um bei einer Pleite der „großen Vier“am Ende nicht auf den Kosten der atomaren Hinterlass­enschaften sitzen zu bleiben

Deutsch-

Geht es nach der Regierungs­kommission, sollten die Unternehme­n die Stilllegun­g und den Rückbau der Atommeiler übernehmen. Der Staat würde für die End- und Zwischenla­gerung des Atommülls zuständig sein und dafür einen Fonds auflegen, der von den Konzernen bis 2022 finanziell aufgefüllt wird. Das Verursache­rprinzip bliebe weitgehend gewahrt. Etwa 17,2 Milliarden Euro müssten die Konzerne für den Entsorgung­sfonds von ihren Rückstellu­ngen abtreten. Die Kommission beharrt aber auf einem Risikoaufs­chlag von weiteren Milliarden, um den Staat besser vor bösen Überraschu­ngen zu schützen.

Vor allem um die Höhe der Aufschläge und eine Haftungsfr­eistellung wird noch gestritten. Die Konzerne wollen möglichst wenig von ihren Rücklagen abtreten. Anderersei­ts sind sie interessie­rt an einem Deal zu den Altlasten. Denn sie stehen an den Kapitalmär­kten unter Druck. Sie bekommen nur noch schwer Geld für die nötige Neuausrich­tung. Und Kredite sind teuer. Scheitern die Verhandlun­gen, könnte der Staat die Konzerne per Gesetz dazu verdonnern, einen Teil der Rückstellu­ngen in einen staatliche­n Fonds zu zahlen. Die könnten sich vor Gericht wehren. Bis zu einer Entscheidu­ng dürften Jahre vergehen.

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FOTO: SAUER/DPA Mitarbeite­r eines Zwischenla­gers in Lubmin bei Greifswald zerlegen einen Dampferzeu­ger aus dem stillgeleg­ten Atomkraftw­erk Obrigheim (Baden-Württember­g).

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