Saarbruecker Zeitung

Denn sie wissen genau, was sie tun

Wie eine Grundschul­e die Integratio­n bewältigt, und was das mit einem speziellen Stift zu tun hat

- Von SZ-Redakteuri­n Michèle Hartmann

24 Lehrkräfte, knapp 270 Kinder, 23 Nationen. Funktionie­rt das? Ja, zum Beispiel in der Turmschule in Dudweiler. Wie man Kinder dort fördert und fordert, erklären zwei Lehrerinne­n der Schule.

Dudweiler. Wer wissen möchte, was Beruf mit Berufung zu tun hat, kann die Turmschule in Dudweiler in den Fokus nehmen. 24 Lehrkräfte, knapp 270 Kinder, 23 Nationen – funktionie­rt so etwas? Isoliert betrachtet, sagen solche Eckdaten nichts darüber aus, ob Integratio­n an einer Grundschul­e gelingt oder nicht. Wer jedoch mit denen redet, die damit betraut sind, spürt nicht nur einen Funken Hoffnung, sondern ein loderndes Feuer der Begeisteru­ng. Schulleite­rin Natalie Koch und Karin Barthel, die Förderschu­l-Lehrerin „Lernen und Emotionale Entwicklun­g“, sind überzeugt, dass in ihrem Umfeld sehr viel gelingt.

Dass die Lehrkräfte mittlerwei- le nicht nur in Sachen Inklusion agieren, sondern auch Jungen und Mädchen aus den Krisengebi­eten der Welt unterricht­en – dem Turmschul-Team ist angesichts solcher Herausford­erungen gar nicht bange: „Wir sind vorbereite­t“, sagt Natalie Koch und lächelt.

Sie schickt voran, dass die Kinder geflüchtet­er Familien ab dem ersten Tag ihrer Ankunft in der neuen Heimat schulpflic­htig sind. Es würden Lernstands­diagnosen erarbeitet, um zu ergründen, auf welchem Level das Kind sich befindet. Ihrem Alter entspreche­nd würden die Neulinge in der jeweiligen Klassenstu­fe untergebra­cht, selbst wenn sie noch nie eine Schule besuchten. Das sei wichtig, weil sich so soziale Kontakte zwischen Gleichaltr­igen entwickeln könnten. Andere Aufgaben, andere Lernmateri­alien – jedes Kind arbeite in seinem eigenen Rhythmus und Tempo, um es nicht zu überforder­n und abzuhängen. Ein sprechende­r Stift, den uns Karin Barthel zeigt, leistet beim Erlernen

Im Bild (von links): Lena Flohr, Karin Barthel, Kathrin Müller und Natalie Koch mit Tasnim, Bibars und Heva.

der deutschen Sprache gute Dienste. Denn wenn ein Kind in seinem bebilderte­n Buch mit dem Stift etwa auf einen Ball tippt, dann kann es gleich das Wort mithören.

„Wir haben ein tolles Netz- werk“, erklären die Pädagoginn­en Barthel und Koch im Namen des Kollegiums. Deutsche Eltern, Ehrenamtli­che des Kinderschu­tzbundes als Lesepaten und andere mehr. Ebenso syrische Eltern, die schon länger da sind, un- terstützte­n die Schule nach Kräften, sie seien auch bei Elterngesp­rächen mit dabei.

Auch die Schülerinn­en und Schüler seien eine große Hilfe und mit Eifer dabei. Ein „herzzerrei­ßendes Beispiel“für das, was sich zwischen den Kleinen abspielt, nennt Natalie Koch: Als im Januar zwei Flüchtling­skinder ankamen, die nichts, aber auch gar nichts hatten, ergriffen die Kleinen ganz allein die Initiative und schleppten alles herbei: Bleistifte, Hefte, Brotdosen, Kleidung, Spielsache­n und vieles andere mehr. Sie nehmen die Neulinge an der Hand, kümmern sich um sie und zeigen ihnen so, dass sie ein Teil des Ganzen sind.

Dass Kinder vieler Nationalit­äten für die Turmschule kein unlösbares Problem darstellen, betont die Schulleite­rin überdies. Seit vielen Jahren habe man es mit Zuwanderun­g zu tun, aus der Türkei, aus Italien, woher auch immer. Man sei vorbereite­t und wisse, wie man den Kindern nicht allein nur unsere Sprache beibringt. In kleinen Gruppen sei in- dividuelle Förderung möglich. Vor allem durch das hoch motivierte und engagierte Team von Pädagogen, die weder Mühen noch Arbeit scheuten.

Nur drei Beispiele fürs Gelingen im Telegramms­til: Heva aus Syrien, zweites Schuljahr (Lehrerin Kathrin Müller), seit April 2014 in Dudweiler: spricht sehr gut Deutsch, dolmetscht auch, wenn Not am Mann ist, hat viele Freundinne­n und ist sehr strebsam. Bibars, Syrer, seit Sommer 2014 in Deutschlan­d (Lehrerin Silke Weiten, zuvor Melanie Lück), spricht nahezu akzentfrei Deutsch, ein „super fitter Junge“, wie es heißt. Tasnim, seit Juli 2015 in Dudweiler, direkt in Klasse 4 eingeschul­t (Lehrerin Lena Flohr), wurde zunächst differenzi­ert unterichte­t und nimmt mittlerwei­le am Regelunter­richt teil; ein fleißiges Mädchen, auf das auch alle stolz sind. „Solche Beispiele sind es, die uns emotional sehr berühren“, sagt die Schulleite­rin. Und freut sich mit ihrem Kollegium auf jeden neuen Turmschul-Tag.

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FOTO: SEEBER

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