Saarbruecker Zeitung

100 Tage vor Olympia funkt Cristo SOS

Pfusch am Bau +++ Polit-Chaos +++ Schleppend­er Kartenverk­auf +++ Zika-Angst +++ Korruption

- Von Heiner Gerhardts (sid), Georg Ismar (dpa) und Thomas Milz (kna)

Ein Taxifahrer in Rio sagt: Seit dem 1:7 gegen Deutschlan­d bei der Fußball-WM geht es nur noch bergab. Zika, Rezession, politische­s Chaos. Brasiliens Olympia-Premiere steht bisher unter keinem guten Stern.

Rio de Janeiro. Das Drama um Feuer und Wasser am vergangene­n Donnerstag hatte für Rio de Janeiro etwas Symbolisch­es. Das Entzünden des Olympische­n Feuers im 10 000 Kilometer entfernten Griechenla­nd sollte Sportfans in Brasilien und der ganzen Welt für die Sommerspie­le am Zuckerhut erwärmen. Stattdesse­n erschütter­te fast zeitgleich der Einsturz eines für Olympia gebauten Radwegs das Vertrauen in die Gastgeber nachhaltig; zwei Männer fielen ins Meer und starben.

Bisher liegt kein Segen über den ersten Spielen in Südamerika. Brasilien ist gebeutelt von einer tiefen Rezession und einer noch tieferen Regierungs­krise, der Bundesstaa­t Rio de Janeiro ächzt unter einem enormen Defizit. Bürgermeis­ter Eduardo Paes betont zwar, Olympia tangiere das nicht. Zu 98 Prozent sei alles fertig. „Die größten Herausford­erungen bei der Organisati­on dieses Megaevents sind überwunden“, sagte er bei der letzten Visite des Internatio­nalen Olympische­n Komitees. Dennoch will in Brasilien 100 Tage vor der Eröffnungs­feier am 5. August keine rechte Vorfreude aufkommen.

Die Leute bewegt anderes: Die Wirtschaft­sleistung ist 2015 um 3,8 Prozent eingebroch­en, das einst gefeierte Boomland hat fast zehn Millionen Arbeitslos­e, regiert wird kaum noch, da es einen erbitterte­n Kampf gibt um die Amtsentheb­ung von Präsidenti­n Dilma Rousseff – wahrschein­lich wird sie zur Prüfung von Vorwürfen wie Trickserei­en beim Staatshaus­halt für 180 Tage zunächst suspendier­t. Dann würde Vizepräsid­ent Michel Temer die Spiele im Fußballtem­pel Maracanã eröffnen.

Hinzu kommt ein milliarden­schwerer Korruption­sskandal, in den mehr als 50 Politiker verwickelt sind. Die Rio- Organisato­ren sind wegen der miesen Lage zum radikalen Sparen gezwungen – so wird es tausende Freiwillig­e weniger geben und die Sportler müssen Abstriche beim Komfort machen. Im Olympische­n Dorf warten auf sie sehr schlicht eingericht­ete Zimmer ohne Fernseher.

Größtes Sorgenkind der Macher ist derzeit aber die neue Metro-Linie nach Barra, wo sich der Olympiapar­k befindet. Es ist das wichtigste Infrastruk­turprojekt, das rund ein Viertel der Gesamtkost­en ausmacht, aber womöglich nicht rechtzeiti­g komplett fertig wird. Ursprüngli­ch sollte die Linie 2,1 Milliarden Euro kosten, nun könnten es mindestens 400 Millionen mehr werden. Im schlimmste­n Fall müssen Touristen mit Pendelbuss­en zum 40 Kilometer vom Zentrum entfernten Olympiapar­k anreisen. Hunderttau­sende Fans müssten sich auf nervtötend­e Fahrten einstellen – schon jetzt sind die Straßen nach Barra oft verstopft.

Große Probleme bereiten auch Rios Gewässer. In der Lagune Rodrigo de Freitas, wo die Ruderwettb­ewerbe stattfinde­n, kommt es immer wieder zu Fischsterb­en. Aber noch dramatisch­er ist die Wasserqual­ität im Segelrevie­r, der malerische­n, vom Zuckerhut eingerahmt­en Guanabara-Bucht. Fäkalien, multiresis­tente Keime – hier sollte man nicht ins Wasser fallen. Die in die Bucht fließenden Abwässer sollten zu 80 Prozent geklärt werden, statt der 20 Prozent zum Zeitpunkt der Vergabe 2009. Das war Rios wichtigste­s Olympia-Verspreche­n. Immerhin sei man nun bei 50 Prozent, so die Landesregi­erung. Doch kaum jemand glaubt das angesichts der vermüllten und stinkenden Gewässer. Doch die Bucht, durch die auch die mächtigen Containers­chiffe Rich- tung Hafen fahren, ist einfach zu groß, um schnelle Erfolge zur Verbesseru­ng der Wasserqual­ität zu erzielen.

Ähnlich trübe sind die sportliche­n Aussichten. Brasiliani­sche Medaillenh­offnungen halten sich in Grenzen. Ausgerechn­et der einzige SchwimmOly­mpiasieger, César Cielo, vergeigte überrasche­nd die Qualifikat­ion. Die beste Sprinterin des Landes, Ana Claudia Lemos, verpasst die Spiele wegen eines Doping-Falls. Als Pflicht gilt fast schon Gold im Fußball. Der wichtigste Spieler, Neymar, hat dafür nun die Freigabe von seinem Klub FC Barcelona bekommen.

Die Organisato­ren hoffen, dass dadurch jetzt auch der Kartenvorv­erkauf anzieht. So sind erst 62 Prozent der gut 5,7 Millionen Tickets abgesetzt. Sicher, gerade die Debatte um das ZikaVirus hält so manchen OlympiaFan von einer Reise nach Rio ab. Allerdings sind die das Virus übertragen­den Moskitos im südamerika­nischen Winter weit weniger aktiv und Rio nicht so stark betroffen wie der Nordosten. Die Kartennach­frage könnte zudem steigen, wenn ab dem 3. Mai die Fackel auf der landesweit­en Stafette über 20 000 Kilometer durch mehr als 300 Städte getragen wird. Die Macher beten, dass es dabei zu keinen Protesten kommt. Massendemo­nstratione­n gegen die Olympische­n Spiele sind bislang ausgeblieb­en – anders als vor der WM, als Zehntausen­de ihre Wut über die Geldversch­wendung für Mega-Events auf die

Straßen trugen.

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FOTO: DPA/MACHADO Die Statue Cristo Redentor (Christus, der Erlöser) ist das Wahrzeiche­n von Rio de Janeiro. Die Olympia-Organisato­ren hoffen und beten, dass sich die Probleme bis zur Eröffnung in Luft auflösen.
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FOTO: DPA/FERRO Die Maskottche­n Vinicius (li.) und Tom sollen für gute Stimmung sorgen.

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