Saarbruecker Zeitung

Kommission will Missbrauch aufarbeite­n

Deutschlan­d geht bei der Aufarbeitu­ng einen beispielha­ften Weg

- Von Werner Kolhoff

Eine Kommission will den sexuellen Missbrauch Tausender Kinder in Heimen aufarbeite­n. Gestern nahm sie ihre Arbeit auf.

Die Aufklärung über sexuellen Kindesmiss­brauch ist keine Sache der Kirchen allein, obwohl die Debatte über das Thema vor sechs Jahren mit Enthüllung­en aus ihrem Bereich begann. Es ist auch keine Aufgabe von Historiker­n, denn dieser Missbrauch findet täglich neu statt. In Familien, in Sportverei­nen, in Schulen und Einrichtun­gen der Kinderbetr­euung. Die Dunkelziff­er hierzuland­e beträgt 300 000 Fälle pro Jahr. Geschätzt eine Million Erwachsene leben in Deutschlan­d, die als Kind missbrauch­t wurden und oft ein Leben lang schweigend unter den Folgen leiden.

Dementspre­chend ist es eine Sache der gesamten Gesellscha­ft, solche Fälle aufzuarbei­ten. Die unabhängig­e Kommission, die jetzt ihre Tätigkeit aufgenomme­n hat, besitzt das Potenzial, diesen Wahnsinn zum öffentlich­en Thema zu machen. Deutschlan­d geht damit einen bemerkensw­erten Weg, so wie es schon bei der Aufarbeitu­ng des Schicksals der Heimkinder der Fall war. Über die Parteigren­zen hinweg und auch mit Unterstütz­ung der Kirchen gibt es ganz offensicht­lich eine große Bereitscha­ft, verdrängte Missstände in unserer Gesellscha­ft aufzuarbei­ten. Um den Betroffene­n endlich eine Stimme zu geben, um versteckte­s Leid zu lindern, aber vor allem, um eine Wiederholu­ng für die Zukunft zu verhindern. Längst nicht jedes Land geht mit solch schwierige­n Themen so offen um.

Der Bundestag hat die Kommission eingesetzt, die Bundesregi­erung finanziert ihre Arbeit. Schon das zeigt, dass man es ernst meint mit der Aufklärung. Auch Betroffene gehören dem Gremium an, hier soll also nicht nur professora­l geforscht werden. Jeder, der einen Beitrag leisten kann, wird gehört werden. Vertraulic­h, wenn er will, oder eben öffentlich. Das gilt für Opfer, Mitwisser und sogar für die Täter. Auch um sie muss es gehen, wenn man präventiv wirklich etwas bewirken will.

Die Kommission wird den Finger in eine sehr böse Wunde legen. Wenn sie im kommenden Jahr einen Zwischenst­and und 2019 ihren Endbericht vorlegt, werden Ausmaß und Formen des Kindesmiss­brauchs deutlich werden, es wird noch einmal gewaltige Schlagzeil­en geben. Das wird hoffentlic­h die Gesellscha­ft insgesamt aufwecken. Die Ärzte und Vereine, damit sie aufmerksam­er hinschauen. Verwandte und Nachbarn, damit sie sensibler sind für das, was vielleicht nur ein Zimmer weiter geschieht. Die staatliche­n Körperscha­ften, von den Kommunalve­rwaltungen bis zum Bund, damit sie die materielle­n und rechtliche­n Voraussetz­ungen schaffen, um Kinder besser zu schützen und Betroffene besser zu betreuen. Vor allem aber wird diese Kommission sehr vielen Menschen klar machen, dass ihr Schicksal kein Einzelfall ist, für den sie sich schämen müssten. Das müssten andere.

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