Saarbruecker Zeitung

Ein Machtkampf dämpft den Jubel in Ankara

Premier Davutoglu und Präsident Erdogan sind sich nicht mehr grün

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Istanbul. Eigentlich sollte sich Ahmet Davutoglu freuen. Die EU-Kommission könnte heute den Weg für die Aufhebung des Visazwangs für Türken bei Reisen in Europa frei machen und dem türkischen Ministerpr­äsidenten damit einen wichtigen Erfolg bescheren. Doch den 57-Jährigen treiben zurzeit ganz andere Sorgen um: Er befindet sich im schärfer werdenden Machtkampf mit Präsident Recep Tayyip Erdogan. Diese Spannungen machen das ohnehin sensible Verhältnis der Türkei zu Europa noch komplizier­ter.

Seit dem Abschluss des Flüchtling­s-Deals mit Brüssel drückt Davutoglu mächtig aufs Tempo, um den Anforderun­gen der Europäer nachzukomm­en. Zuletzt setzte er sogar eine indirekte Anerkennun­g des EU-Mitglieds Zypern durch – ein Schritt, den Ankara seit Jahrzehnte­n vermieden hat. Doch anders wäre die angestrebt­e Visafreihe­it für Türken nicht zu haben gewesen. Auch die merkliche Reduzierun­g der Flüchtling­szahlen und gleichzeit­ige Warnungen an die Europäer lassen das große Ziel in greifbare Nähe rücken. Davutoglu könnte also einen Erfolg feiern, doch Erdogan fährt ihm bereits öffentlich in die Parade. Er könne nicht verstehen, warum ein solches Detail als große Errungensc­haft verkauft werde, mault der Präsident. Übrigens habe er selbst die Grundentsc­heidung zur Visafreihe­it bereits 2014 in seiner Zeit als Ministerpr­äsident ausgehande­lt.

Erdogan hatte den ehemaligen Außenminis­ter Davutoglu als seinen Nachfolger an der Spitze der Regierung und der Partei AKP eingesetzt. Doch jetzt nehmen die Reibungen zwischen beiden zu. Vorige Woche beschloss der AKP-Vorstand gegen Davutoglus Willen, die Rechte des Parteichef­s zu beschränke­n. Er kann nun AKP-Provinzfür­sten nicht mehr im Alleingang ernennen. Damit will Erdogan, der in der AKP weiterhin die Strippen zieht, den Aufbau einer eigenen Hausmacht durch Davutoglu verhindern. Zudem schießen Erdogantre­ue Kommentato­ren in den türkischen Medien gegen den Regierungs­chef. Der Journalist Nasuhi Güngör, als Fan des Präsidente­n bekannt, forderte Davutoglu bereits zum Rücktritt auf.

Beobachter vermuten, dass der Premier dem Präsidente­n zu mächtig geworden ist. Im Februar verärgerte Davutoglu seinen Mentor mit der Bemerkung, Erdogan sei zwar eine „Legende“für die AKP, er selbst aber der „neue Chef“. Durch die Beratungen mit der EU über die Flüchtling­skrise und die häufigen Besuche europäisch­er Spitzenpol­itiker gewinnt Davutoglu zudem an Statur auf internatio­nalem Parkett. Der Autor Levent Gültekin sieht Davutoglu inzwischen als einen der wenigen AKP-Politiker, die Erdogan Widerworte geben. Der Präsident dulde das nicht.

Während Erdogan mit häufiger Kritik am Westen auffällt, formuliert Davutoglu in jüngster Zeit wieder verstärkt das Ziel eines EU-Beitritts. Zudem steht er im Verdacht, Erdogans Lieblingsp­rojekt der Einführung eines Präsidials­ystems nur halbherzig zu verfolgen. Der Regierungs­chef legt nämlich keinerlei Eile an den Tag, die nötigen Verfassung­sänderunge­n in die Wege zu leiten. Erdogan wolle aber einen zu hundert Prozent gehorsamen Premier, schreibt der AKP-Kenner Mustafa Akyol auf Twitter. Und ergänzt, die Spannungen zwischen beiden Politikern könnten bald „explodiere­n“.

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