Saarbruecker Zeitung

Woher kennen wir uns eigentlich?

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Manchmal sei er froh gewesen, dass sein Vater sich an den Tag gestern nicht erinnern konnte, hat mir ein Freund erzählt. Denn der Tag vor dem Heute sei schlimm gewesen. Voller Verzweiflu­ng, voller Demütigung, voller Tränen – weil der Vater nicht mehr Herr über sich selbst war. Weil er seine Gedanken nicht mehr greifen konnte. Weil er scheinbar Selbstvers­tändliches nicht wusste. Weil er stammelte wie ein kleines Kind.

Manchmal, sagte mir dieser Freund, fürchtete er sich selbst vor dem Morgen. Denn er wusste nicht, ob er es auch an diesem neuen Tag ertragen würde, seinen Vater so hilflos zu erleben – und ob er selbst die Nerven ha- ben würde, die Demenz des alten Mannes zu ertragen.

Ich habe diesem Freund erzählt, wie merkwürdig ich es fand, dass meine Oma irgendwann immer mehr von früher erzählt hat. Und dass sie sich mit absoluter Sicherheit daran erinnern konnte, dass der Ball, den sie mir als kleines Kind geschenkt hat, nicht blau, sondern rot war – aber mir nicht sagen konnte, ob sie noch genug Brot im Schrank hat, obwohl sie wenige Stunden zuvor welches gekauft hatte.

„Je älter ein Mensch wird, desto näher rückt die Vergangenh­eit.“Diesen Satz hat mal ein Arzt in einem Film gesagt.

Und eine DemenzFach­frau, mit der ich mir diesen Film – „Small World“, gedreht nach dem gleichnami­gen Roman von Martin Suter – angesehen habe, hat mir dazu erklärt, dass ein dementer Mensch „kein Verrückter ist, sondern einer, der in seiner Zeit verrückt ist“.

„Woher kennen wir uns eigentlich?“Diese Frage stellt eine Frau einem Mann – immer wieder, bei jedem Treffen. Der Mann ist ihr Sohn. Und er bringt ihr bei jedem Besuch Blumen mit – in der Hoffnung, sie würden sie an ihn erinnern. Doch die Blumen können nichts daran ändern: Die Mutter ist kindlich geworden, der Sohn alt.

Diese Geschichte erzählte der niederländ­ische Schauspiel­er, Autor und Filmemache­r Joop Admiraal. Das Theater Biel-Solothurn hat die Geschichte inszeniert und gastiert damit nun in der Sparte4 des Saarländis­chen Staatsthea­ters. Leisen Humor, Liebe und Ehrlichkei­t verspricht der Soloabend „Du bist meine Mutter“mit Marcus Mislin. Leisen Humor, Liebe und Ehrlichkei­t – was will man mehr im Leben?

Aufführung­en: 6., 7 und 12. Mai, 11. und 12. Juni, 8. Juli, jeweils 20 Uhr. Karten: Tel. (06 81) 3 09 24 86

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