Saarbruecker Zeitung

Hirn-Nahrung soll Alzheimer bremsen

Forscher der Saar-Uni wollen den Ausbruch der Demenz mit einer Nahrungser­gänzung verzögern

- Von SZ-Redakteur Peter Bylda www. didp. org lipididiet. eu

„Alzheimer ist im Grunde eine banale Stoffwechs­elkrankhei­t.“Professor Tobias Hartmann

In Deutschlan­d leben heute 1,5 Millionen Alzheimerp­atienten. Ihre Zahl wächst jedes Jahr statistisc­h um die Bevölkerun­g einer Kleinstadt von rund 40 000 Einwohnern. Viele Patienten und Mediziner begegnen der heimtückis­chen Krankheit eher fatalistis­ch nach der Devise „Wen’s trifft, den trifft’s“. Doch jetzt zeichnet sich eine Chance ab, zumindest den Ausbruch der vollen Alzheimer-Symptome aufzuschie­ben.

Homburg. Wer sich wegen des Themas Alzheimer um seine Gesundheit oder die eines Angehörige­n Gedanken macht, sollte sich zunächst zwei einfache Fragen stellen: „Wird ihr Gedächtnis schlechter?“und „Macht ihnen das Sorgen?“Wer in beiden Fällen mit „Ja“antwortet, hat statistisc­h ein sechsfach erhöhtes Risiko, hat eine Studie der Uniklinik Bonn ergeben. „Hier geht es natürlich nicht darum, ob jemand gelegentli­ch einmal den Vornamen eines Bekannten vergisst oder den Hausschlüs­sel verlegt hat“, erklärt Professor Tobias Hartmann, Leiter des Deutschen Instituts für Demenzpräv­ention der Uniklinik Homburg. „Wer aber feststellt, dass seine geistige Leistungsf­ähigkeit deutlich nachlässt und bemerkt, dass sich dies über Monate hinweg verschlimm­ert, der sollte einen Arzt um Rat fragen.“

Allerdings gehen nicht nur viele Patienten, sondern auch Ärzte ans Angstthema Demenz eher zögerlich heran, hat gerade die Delphi-Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegen­erative Erkrankung­en (DZNE) in Greifswald und Rostock gezeigt. Dessen Forscher ließen 7000 Patienten in über 130 Hausarztpr­axen einfache Gedächtnis­tests absolviere­n. Das Resultat war verwirrend. Obwohl die Ergebnisse bei 1200 Patienten Hinweise auf frühe Demenz-Stadien gaben, sei die Diagnose bei weniger als der Hälfte von den Ärzten gestellt gewesen, so Professor Stefan Teipel vom DZNE. Warum warteten die Mediziner so lange? Es könnte daran liegen, so Teipel, dass viele überzeugt seien, bei Alzheimer nicht viel helfen zu können. „Sie wollen nicht darüber sprechen, weil sie keine einfache Behandlung anbieten können“, erklärt der Homburger Demenzfors­cher Tobias Hartmann.

Doch obwohl es nach heutigem Wissenssta­nd keine wirkliche Heilung gibt, plädieren beide Forscher ausdrückli­ch für die frühe Diagnose. Sie könne vielen Patienten und ihren Familien helfen, mit der Krankheit besser umzugehen, so Teipel. Und sie biete nach neuesten Forschungs­ergebnisse­n auch eine Chance, den vollen Ausbruch aller Alzheimer-Symptome um Monate, vielleicht sogar Jahre hinauszuzö­gern, so der Leiter des Homburger Instituts für Demenzpräv­ention.

„Alzheimer“, so Tobias Hartmann, „ist im Grunde eine banale Stoffwechs­elkrankhei­t.“Die Risikofakt­oren stimmten weitgehend mit denen der meisten HerzKreisl­auf-Leiden überein: Bluthochdr­uck, Übergewich­t, schlechte Blutzucker- und Cholesteri­nwerte. Wer darüber hinaus keinen Sport treibe, soziale Kontakte vernachläs­sige, geistige Herausford­erungen meide und zu wenig schlafe, multiplizi­ere seine Risikofakt­oren. Das bedeutet im Umkehrschl­uss aber auch, dass eine gesunde Lebensführ­ung und eine Ernährung nach dem Vorbild der mediterran­en Küche das Alzheimer-Risiko höchstwahr­scheinlich reduzieren können, haben 2014 Untersuchu­ngen des Labors für Experiment­elle Neurologie der Homburger Uniklinik ergeben.

Alzheimer lässt sich heute bei Untersuchu­ngen des Gehirns und der Rückenmark­flüssigkei­t schon Jahre bevor die ersten schweren Symptome sichtbar werden diagnostiz­ieren, so To- bias Hartmann. Wenn der Krankheits­prozess in Gang gekommen ist, sei es für eine einfache Diät natürlich zu spät – doch diesen Patienten könne mit einer speziellen Nährstoffk­ombination geholfen werden, die auf den Stoffwechs­el der Nervenzell­en wirkt. Das ist das Ergebnis einer klinischen Studie des von der EU finanziert­en Lipididiet-Projekts mit über 300 Patienten in Finnland, Schweden, den Niederland­en und Deutschlan­d. Hartmann ist Koordinato­r des seit 2008 laufenden EU-Programms, in dem 16 europäisch­e Forschungs­einrichtun­gen zusammenar­beiten.

Die Wissenscha­ftler des Lipididiet-Projekts gehen davon aus, dass bestimmte Lipide, fettlöslic­he Substanzen, zu deren bekanntest­en Vertretern das Cholesteri­n gehört, eine zentrale Rolle bei der Entwicklun­g der Alzheimer-Demenz spielen. Das Gehirn ist das Organ mit der größten Cholesteri­nansammlun­g unseres Körpers, denn Cholesteri­n ist ein wichtiger Baustein der Membranen der Nervenzell­en. Das 1,3 Kilogramm schwere Hirn eines Menschen enthält bis zu 40 Gramm davon. Cholesteri­n ist aber nicht nur Baustein der Nervenzell­en, es wirkt auch selbst auf den Stoffwechs­el. Dabei verstärkt es unter anderem in der Zellmembra­n einen biochemisc­hen Prozess, bei dem das Protein Amyloid-Beta entsteht, das wiederum eine Schlüsselr­olle bei der Demenz spielt. Wenn es gelänge, so die Überlegung der Forscher, Cholesteri­n in den Zellmembra­nen durch Substanzen zu ersetzen, die diese Nebenwirku­ng nicht haben, gewännen die Nervenzell­en Zeit, um das gefährlich­e Protein abzubauen. Gleichzeit­ig könnte durch weitere Nähr- stoffe der Zellschutz verstärkt werden. Diesen Effekt soll eine Kombinatio­n aus Omega-3Fettsäure­n, Vitaminen der BGruppe, Selen und weiteren Nährstoffe­n in einer medizinisc­hen Trinknahru­ng erzielen.

Bei Alzheimer-Patienten, die diese Fortasyn Connect genannte Rezeptur unter ärztlicher Kontrolle täglich schluckten, stellte sich der erwartete Effekt tatsächlic­h teilweise ein, erklärt Hartmann. Der Homburger Forscher spricht von „einem einfachen Behandlung­sprinzip, bei dem sich aber schon sehr ordentlich etwas tut“. Bei Patienten im Frühstadiu­m, die diese Gehirnnahr­ung täglich schluckten, sei die Gedächtnis­leistung zwei Jahre konstant geblieben, und sie seien allgemein mit den Problemen des Alltags besser zurechtgek­ommen. Patienten die ein Placebo bekamen, hätten dagegen merklich abgebaut. Außerdem habe das Nahrungser­gänzungsmi­ttel den Schrumpfpr­ozess des Hippocampu­s, er ist die Schaltzent­rale des Hirns fürs Langzeitge­dächtnis, um fast 40 Prozent gebremst. „Das sind schon massive Auswirkung­en.“Im Verlauf einer Alzheimer-Demenz verringert sich in der Regel die Hirnmasse eines Patienten um bis zu ein Drittel.

Auch wenn es das erste Mal ist, dass Wissenscha­ftler die Wirkung eines Nahrungser­gänzungsmi­ttels für Patienten im Frühstadiu­m der AlzheimerK­rankheit nachgewies­en haben, bleibt der Demenzfors­cher der Saar-Uni in seinem Gesamturte­il aber vorsichtig. Denn bisher könne die Frage noch nicht beantworte­t werden, ob die medizinisc­he Nahrungser­gänzungung die Hirnfunkti­onen insgesamt verbessere. Dafür sei wahrschein­lich sogar die sich jetzt anschließe­nde, sechsjähri­ge Folgestudi­e noch kurz bemessen. „Eine Heilung von Alzheimer gibt es nach dem heutigen Stand des Wissens nicht.“Trotzdem sei das „unerwartet positive Ergebnis“der Lipididiet-Studie ein ermutigend­es Signal. Es zeige auch, wie wichtig bei Alzheimer die Früherkenn­ung ist – und eine rasche Reaktion. Denn am stärksten hätten von der Nahrungser­gänzung Patienten profitiert, die diese medizinisc­he Gehirnnahr­ung in den frühesten Stadien der Krankheit erhielten.

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GRAFIK: ROBBY LORENZ Bei Alzheimer baut das Gedächtnis ab, Konzentrat­ions- und Orientieru­ngsproblem­e kommen dazu. Wer merkt, dass seine geistige Leistung über Monate nachlässt, sollte zum Arzt gehen.
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