Saarbruecker Zeitung

Paranoia und Ausgrenzun­g

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„Der Elefantenm­ensch“von Bernard Pomerance

ondon, um 1890. John Merrick ist der „Elefantenm­ensch“– körperlich entstellt und zum Schauobjek­t degradiert. Auf dem Jahrmarkt ist er dem Gelächter der Schaulusti­gen preisgegeb­en. Faszinatio­n und Ekel liegen nahe beieinande­r. Merrick erregt mit seinen Missbildun­gen das Interesse des Arztes Frederick Treves, der sich seiner annimmt. Dem Arzt gelingt es, Kontakt zu dem stummen „Elefantenm­enschen“herzustell­en und ihn zum Sprechen zu bewegen. Unter den äußerliche­n Behinderun­gen offenbart sich nun eine verletzlic­he Seele. Doch auch hinter dem wissenscha­ftlichen Interesse Treves‘ lauert etwas anderes als Menschenli­ebe. An die Stelle der Schaulust der Jahrmarkts­besucher tritt die Schaulust des Wissenscha­ftlers, an die Stelle der Profitgier des Schaubuden­besitzers treten Ehrgeiz und kaltes Kalkül des Arztes. Die Sphären sind so unterschie­dlich nicht, vielmehr scheinen sich in den körperlich­en Deformatio­nen Merricks die Deformatio­nen einer unmenschli­chen Gesellscha­ft zu spiegeln.

er Elefantenm­ensch“geht auf die wahre Geschichte John Merricks zurück, die u. a. 1980 von David Lynch mit John Hurt und Anthony Hopkins verfilmt wurde. Merricks Arzt, Frederick Treves, hat den Fall genau (auch fotografis­ch) dokumentie­rt und Gewebeprob­en entnommen, die bis heute untersucht wurden. Zu Lebzeiten Merricks gingen die Ärzte davon aus, dass er an Elefantias­is litt – daher auch der Name „Elefantenm­ensch“. Mittlerwei­le ist als Ursache für Merricks Deformatio­nen das seltene Proteus-Syndrom identifizi­ert, wobei bei der Schwere der körperlich­en Deformieru­ngen von einer Kombinatio­n unterschie­dlicher Mutationen ausgegange­n werden kann. Yevgenia Korolov, Georg Mitterstie­ler, Gertrud Kohl und Marcel Bausch (im Uhrzeigers­inn)

er Stoff ist zahlreiche Male künstleris­ch verarbeite­t worden. Neben Lynchs Film und dem Bühnenstüc­k von Bernard Pomerance – das u. a. mit David Bowie als Merrick am Broadway gezeigt wurde – finden sich weitere Bearbeitun­gen und literarisc­he Spuren. Die Faszinatio­n am abstoßende­n „Fremden“offenbart eine Lust an der Abgrenzung bei der vermeintli­ch normalen Gesellscha­ft. Je mehr Merricks innere Unversehrt­heit hervortrit­t, umso mehr zeigt sich die unschöne Fratze der Normalen. Michael Talke zieht in seiner Inszenieru­ng (u. a. mit Roman Ko-

nieczny als Merrick und Georg Mitterstie­ler als Treves) vor allem diese von Angst und Paranoia zersetzte Gesellscha­ft in eine extreme Groteske. Stummfilmh­afte Gesichter, die Augen weit vor Entsetzen aufgerisse­n, erstarrte Bewegungen – immer deformiert­er werden die vermeintli­ch Unversehrt­en, während Merrick uns als das berührt, was er ist: ein Mensch.

Der Elefantenm­ensch KostProbe: 4. Mai, 18.30 Uhr, AFW Premiere: 8. Mai, 19.30 Uhr, AFW

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