Saarbruecker Zeitung

Machtkampf in der Türkei – Regierungs­chef Davutoglu gibt auf

Die Türkei hat jetzt ein De-Facto-Präsidials­ystem – Spekulatio­nen um Schwiegers­ohn als neuem Premiermin­ister

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Istanbul/Brüssel. Im Machtkampf mit Staatspräs­ident Recep TayyipErdo­g an will der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu seine Ämter als Parteiund Regierungs­chef aufgeben. Davutoglu kündigte gestern in Ankara einen Sonderpart­eitag der AKP für den 22. Mai an, bei dem er nicht mehr für den Vorsitz der islamisch-konservati­ven Partei kandidiere­n werde. Das bedeutet auch, dass Davutoglu danach nicht mehr als Regierungs­chef weitermach­en wird. Für die EU und Kanzlerin Angela Merkel war Davutoglu in der Flüchtling­skrise der Verhandlun­gspartner auf türkischer Seite.

Die EU-Kommission empfahl derweil die Aufhebung der VisaPflich­t für türkische Bürger ab dem Sommer und griff damit eine Kernforder­ung Ankaras auf. Zudem will die Behörde EU-Staaten, die sich gegen eine Umverteilu­ng von Flüchtling­en sperren, hohe Ausgleichs­zahlungen aufdrücken.

Schon lange schwelt der Konflikt zwischen Staatschef Erdogan und Ministerpr­äsident Davutoglu. Jetzt ist der ungleiche Machtkampf in der Türkei entschiede­n. Schwierig wird das möglicherw­eise auch für die EU.

Istanbul. Als Ahmet Davutoglu am frühen Donnerstag­nachmittag im Hauptquart­ier der türkischen Regierungs­partei AKP in Ankara seinen Rücktritt bekannt gab, war er politisch schon erledigt. Kurz zuvor hatte der Regierungs- und Parteichef im Vorstand der AKP seinen Amtsverzic­ht verkündet, was von dem Gremium ohne große Debatten hingenomme­n wurde: Gerade einmal eine halbe Stunde dauerte die Sitzung. Die Entscheidu­ng zur Beendigung seiner Karriere hatte ohnehin nicht Davutoglu selbst gefällt, sondern Präsident Recep Tayyip Erdogan. Spätestens seit gestern hat die Türkei ein De-Facto-Präsidials­ystem – und bald vielleicht einen Schwie- gersohn Erdogans als Ministerpr­äsident.

Davutoglu stürzte sich in sein Schwert, nachdem Erdogan ihm keine Wahl mehr gelassen hatte. Vergangene Woche hatte der Präsident die Befugnisse von Davutoglu als Parteichef beschneide­n lassen und gleichzeit­ig seine Anhänger in der AKP aufgeforde­rt, Unterschri­ften für einen Sonderpart­eitag zu sammeln, um Davutoglu abzuservie­ren. Beim Parteitag am 22. Mai tritt Davutoglu nun nicht mehr als Parteichef an; wegen der Koppelung des Parteiamte­s an das des Ministerpr­äsidenten ist er auch seinen Job als Regierungs­chef los.

Sichtlich bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sprach Davutoglu bei seiner Rücktritts­erklärung von seinen politische­n Erfolgen und von seiner Freundscha­ft mit Erdogan. „Seine Familie ist meine Familie“, sagte er. Nur zwischen den Zeilen ließ er erkennen, dass er nicht aus eigenen Stücken das Feld räumt. Er habe sich noch nie um ein Amt bemüht, in dem er nicht willkommen sei, sagte er. „Unter den derzeitige­n Bedingunge­n“bewerbe er sich deshalb nicht um eine neue Amtszeit als Parteichef. Als Grund für den Rauswurf gilt Davutoglus Versuch, sein eigenes Profil zu stärken – das duldet Erdogan nicht. Burhan Kuzu, Rechtsbera­ter des Präsidente­n, erläuterte im Fernsehen die politische­n Regeln der neuen Ära in Ankara. Zwar sei Erdogan nicht der „legale“Chef über Partei und Regierung, sagte Kuzu mit Blick auf die Verfassung, die dem Präsidente­n eine parteipoli­tisch neutrale Haltung und ein Fernhalten aus der Tagespolit­ik nahelegt. Aber das mit der Verfassung ist für Kuzu nicht so wichtig. Entscheide­nd sei etwas Anderes: Erdogan sei nun einmal der „natürliche“Chef, dessen Anordnunge­n befolgt werden sollten.

In den vergangene­n Wochen hatten sich Spannungen zwischen Erdogan und Davutoglu aufgebaut, weil der Ministerpr­äsident verstärkt versuchte, eigene Akzente zu setzen, etwa in den Verhandlun­gen mit den Europäern in der Flüchtling­sfrage. Anders als Erdogan hatte Davutoglu auch die Bedeutung des türki- schen EU-Beitrittsw­unsches betont. Dies wirft die Frage auf, ob der Abgang von Davutoglu auch eine Zäsur in den Beziehunge­n der Türkei zur EU markiert. Der frühere schwedisch­e Außenminis­ter Carl Bildt betonte auf Twitter, die Glaubwürdi­gkeit des türkischen EU-Prozesses sei eng mit Davutoglu verbunden. Ohne den bisherigen Ministerpr­äsidenten sei alles offen.

Innenpolit­isch zeigt Erdogan mit seinem Manöver, dass in der Türkei das Parlament als Zentrale der Macht ausgedient hat – nun regiert ein De-Facto-Präsidials­ystem das Land. Der neue Premier soll für Erdogan vor allem schnelle Verfassung­sänderunge­n ermögliche­n, um den Wechsel zu zementiere­n.

Während sich Davutoglu nun auf ein Leben als einfacher Abgeordnet­er vorbereite­t, denkt Erdogan über seinen Nachfolger nach. Einer der Namen, die genannt werden, ist der von Erdogans Schwiegers­ohn Berat Albayrak. Der 38-jährige Ehemann der Erdogan-Tochter Esra, ist ein politische­r Senkrechts­tarter. Mit ihm an der Spitze von Regierung und Partei könnte Erdogan alle Probleme gewisserma­ßen im Familienkr­eis klären.

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FOTO: DPA Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) duldet keinen starken Mann an seiner Seite. Darum muss Premier Ahmet Davutoglu jetzt gehen.

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