Saarbruecker Zeitung

Warum Merkel gerne „wir“sagt und Hollande lieber „ich“

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Luther ist schuld daran, dass Franzosen und Deutsche bis heute so unterschie­dlich ticken. Diese These vertritt und erläutert der zweisprach­ige Elsässer Martin Graff in seinem neuesten Buch „Der lutherisch­e Urknall“. Am Freitag las er daraus im Saarländis­chen Künstlerha­us in Saarbrücke­n.

Saarbrücke­n. Martin Graff gab seinem Buch in Frankreich wohlweisli­ch einen anderen Titel als in Deutschlan­d: „Comme en Allemagne?“– Weil diese Frage derzeit in keiner französisc­hen Nachrichte­nmeldung fehle und die Franzosen mit Martin Luther nichts anfangen könnten. Das erklärte der gelernte protestant­ische Pfarrer, der zum Journalist­en umsattelte und beim Saarländis­chen Rundfunk einst, wie er berichtete, besonders viel Ermutigung erhielt, bei seiner Buchvorste­llung im übervollen Saarländis­chen Künstlerha­us.

Dass „Der lutherisch­e Urknall“(so der deutsche Titel) bei unseren Nachbarn nicht stattfand, hält er für ein gravierend­es Versäumnis. Denn indem der Reformator den Zugang zur Bibel für alle forderte und so das Interpreta­tionsmonop­ol des Vatikans zu Fall brachte, habe er die Demokratie ermöglicht, argumentie­rt Graff. Montesquie­u, Voltaire & Co. habe er so zwar in Frankreich den Weg zu einer säkularen Aufklärung frei gemacht, doch insgesamt habe man trotz Revolution in dem Land die von Luther bewirkte „Machtumver­teilung“nie wirklich vollzogen.

Bis heute seien französisc­he Sozialiste­n und Kommuniste­n im Grunde noch immer katholisch und Frankreich­s Präsidente­n Monarchen. In Ansprachen beispielsw­eise sage François Hollande 130 Mal „ich“, während Angela Merkel von „wir“spreche, wie Graff in seinem wie immer auf launige Unterhaltu­ng und Pointen bedachten Vortrag als Beleg anführte. sbu

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