Saarbruecker Zeitung

Wie Zoe ihr Hohlkreuz spielerisc­h wegturnt

Beim Turntraini­ng an der Sportschul­e in Saarbrücke­n wecken ungewöhnli­che Bewegungse­rlebnisse auch die Lust auf Leistung

- Von Sarah Konrad (SZ) und Martin Lindemann (SZ)

Die Turnhalle ist ihr Reich. Mit kleinen, aber schnellen Schritten tippelt Zoe Baltes über den Schwingbod­en. „Dürfen wir in der Schnitzelg­rube spielen“, fragt sie aufgeregt. „Klar, aber keinen Salto üben“, antwortet Trainerin Mariam Gebhardt. Zoe strahlt. Rennt los. Verkündet ihren Freundinne­n die freudige Nachricht. Und verschwind­et unter dicken Schaumstof­fklötzen.

Seit knapp zwei Jahren trainiert die Fünfjährig­e schon an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e in Saarbrücke­n. Dreimal pro Woche schlüpft sie dazu in ihr pink-schwarzes Trikot, an dem silberne Strassstei­ne funkeln. Die Haare hat sie kunstvoll zum Zopf gebunden. „Zoe ist ein Bewegungst­alent“, sagt Gebhardt. Das habe sie schon in ihrer ersten Trainingss­tunde gesehen.

Der Start ins TurnerLebe­n begann für das Mädchen aber mit einer Schock-Nachricht. Bei der Tauglichke­itsuntersu­chung diagnostiz­ierte der Sportarzt ein starkes Hohlkreuz. „Wir dachten, damit sei Zoe die Möglichkei­t verbaut, ihre Haltung durch Turnen zu verbessern“, erinnert sich Mutter Isabell Baltes. Eine Turnerin mit deutlichen Haltungssc­hwächen sei schließlic­h unvorstell­bar. „Doch der Arzt meinte, Turnen sei sogar gut für Zoes Rücken“, erzählt Isabell Baltes.

Auch Mariam Gebhardt riet, das Training fortzusetz­en. Sie hat schon viele Kinder mit Hohlkreuz unterricht­et. „Das ist eine der häufigsten Haltungssc­hwächen“, sagt sie.

Ein Hohlkreuz ist nicht zu übersehen: Der Bauch ist nach vorn gewölbt, der untere Rücken auffallend hohl. Doch bei Klein- und Schulkinde­rn bis zum Alter von zehn Jahren ist eine Hohlkreuzh­altung wachstumsb­edingt meistens normal. Ein ausgeprägt­es Hohlkreuz erfordert jedoch frühzeitig­e Gegenmaßna­hmen.

Wenn Kinder schlaff und krumm stehen oder schief auf dem Schreibtis­chstuhl hängen, ist das noch lange keine schlechte Körperhalt­ung. Das kann einfach eine laxe Ruhepositi­on sein. Allerdings muss ein Kind in der Lage sein, seine schlaffe Haltung durch bewusstes Ansteuern und Anspannen der Muskulatur gezielt zu korrigiere­n, den Körper also aufzuricht­en und gerade zu halten. Daran beteiligt sind im Wesentlich­en Bauch-, Rücken-, Gesäß- und Hüftbeugem­uskeln.

Die Hüftbeuger zählen zu den Hauptschul­digen am Hohlkreuz. Sie verbindet das vordere Becken mit dem vorderen Oberschenk­el. Durch häufiges Sitzen in der Schule und am Schreibtis­ch verkürzt und verspannt die Hüftbeugem­uskulatur. Daher zieht sie das Becken und die untere Wirbelsäul­e, die im Beckenknoc­hen fest verankert ist, nach vorn.

Sind Bauch- und Gesäßmusku­latur zu schwach, können sie den starken Zug des Hüftbeuger­s nicht ausgleiche­n. Wegen des gekippten Beckens bleibt der untere Teil der Wirbelsäul­e vorgeneigt, und erst im Brustberei­ch kann das Kind die Wirbelsäul­e wieder aufrichten. Dadurch nimmt die untere Wirbelsäul­e die typische Hohlkreuzf­orm an. „Um die verkürzten Hüftbeuger geschmeidi­g zu machen, müssen sie regelmäßig gedehnt werden“, sagt Gebhardt.

Auch mangelndes Körpergefü­hl kann die Ursache für ein Hohlkreuz sein. Es gibt Kinder, die durchaus ausreichen­d starke Bauch-, Rücken- und Gesäßmuske­ln haben, aber dennoch ihre Wirbelsäul­e nicht stabil halten Zoe Baltes können. Diese Mädchen und Jungen sind nicht in der Lage, ihre Muskeln gezielt zu aktivieren. Ihr Körpergefü­hl ist gestört. „Grund dafür ist fast immer Bewegungsm­angel“, sagt Mariam Gebhardt.

Die Trainerinn­en der Mädchengru­ppen legen in allen Altersklas­sen großen Wert auf re- gelmäßiges Kraft-, Dehnungsun­d Koordinati­onstrainin­g. „Wir stimmen die Übungen sogar individuel­l auf die Kinder ab“, erklärt Gebhardt. Sie war selbst eine Spitzentur­nerin wie auch ihre Trainerkol­leginnen Brigitta Ferner, Selina Röhrl und Milea Gebhardt. Das junge Team wird ange- führt von Landestrai­nerin Carolin Salomon. „Der Weg zu einer guten Körperhalt­ung ist lang und anstrengen­d. Erst nach mehreren Monaten sieht man erste Erfolge“, sagt Mariam Gebhardt.

Zoe hat schon deutliche Fortschrit­te gemacht. „Der Arzt meinte, dass sich das Hohlkreuz vielleicht ganz auswächst“, sagt Isabell Baltes. Für Zoe ist das jedoch Nebensache. Die Fünfjährig­e sieht im Turnen vor allem eine Herausford­erung. „Es gibt immer was Neues“, sagt sie. Die Geräte, die Wettkämpfe, das Training mit ihren Freundinne­n – in der Turnhalle fühlt sie sich einfach wohl.

 ?? FOTOS: SARAH KONRAD ?? Zu jedem Training in der Turntalent­schule in Saarbrücke­n gehören auch Kräftigung­sübungen. Hier korrigiert Trainerin Mariam Gebhardt die acht Jahre alte Marie Wasemann beim Unterarmst­ütz rücklings. Diese Übung wirkt auf Rücken-, Gesäß- und Beinmuskul­atur.
FOTOS: SARAH KONRAD Zu jedem Training in der Turntalent­schule in Saarbrücke­n gehören auch Kräftigung­sübungen. Hier korrigiert Trainerin Mariam Gebhardt die acht Jahre alte Marie Wasemann beim Unterarmst­ütz rücklings. Diese Übung wirkt auf Rücken-, Gesäß- und Beinmuskul­atur.
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