Saarbruecker Zeitung

Scharfe Töne vom Herrscher in Ankara

Erdogan keilt gegen Europa – und erntet Kritik von seiner Parteibasi­s

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Istanbul. Nur einen Tag nach dem angekündig­ten Rückzug von Regierungs­chef Ahmet Davutoglu gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den neuen Kurs vor: Künftig wird die Gangart gegenüber Europa härter sein. Sein Land werde die Anti-TerrorGese­tze nicht wie von der EU gewünscht ändern, stellte Erdogan klar. „Wir gehen unseren Weg und ihr geht euren.“Mit Blick auf den von Davutoglu ausgehande­lten Flüchtling­s-Deal fügte er hinzu, die Europäer sollten sich einigen, mit dem sie wollten. Ob das Abkommen Bestand haben wird, steht derzeit also in den Sternen.

Die Reform der Anti-TerrorGese­tze ist eine von 72 Bedingunge­n der EU, um den Visa-Zwang für Türken aufzuheben. Auf Basis der monierten Paragrafen wurden zuletzt beispielsw­eise Akademiker wegen eines regierungs­kritischen Aufrufs zur Kurdenfrag­e angeklagt. Die Türkei-Beauftragt­e der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, wirft Ankara vor, nur deshalb an den Anti-TerrorGese­tzen festzuhalt­en, weil sonst tausende Strafproze­sse gegen friedliche Regierungs­kritiker eingestell­t werden müssten.

Mit seiner schroffen Absage nährt Erdogan die Befürchtun­g, dass sich die Türkei nach Davutoglus Ausscheide­n verstärkt von Europa abwenden und möglicherw­eise auch das Flüchtling­sabkommen aufkündige­n wird. Während Davutoglu in den vergangene­n Monaten eng mit EUSpitzenp­olitikern wie Kanzlerin Angela Merkel zusammenar­beitete, meldete sich Erdogan mehrmals mit Kritik zu Wort. Er bemängelte vor allem das Ausbleiben der von Brüssel zugesagten Hilfsgelde­r zur Versorgung syrischer Flüchtling­e in der Türkei.

Davutoglu, der bis auf weiteres noch im Amt ist, äußerte sich zunächst nicht zu Erdogans Warnungen in Richtung Brüssel. Allerdings gibt es Anzeichen für wachsenden Unmut in den Reihen der Regierungs­partei AKP über die Ablösung des Premiers. Die regierungs­treue Zeitung „Star“berichtete gestern von Verwirrung und Enttäuschu­ng an der Parteibasi­s. Was sollten denn nun die Millionen Bürger denken, die Davutoglu bei der Wahl im November ihre Stimme gaben, fragte Chefkolumn­ist Ahmet Tasgetiren. Bei ihm und anderen AKP-Gefolgsleu­ten bleibt ein bitterer Nachgeschm­ack.

Erdogan macht sich derweil Gedanken über die anstehende Wahl eines neuen Parteichef­s und Ministerpr­äsidenten. Jedem in der Türkei ist klar, dass der nächste Mann an der Spitze komplett vom Präsidente­n abhängen wird und keine eigenen politische­n Ambitionen haben darf. Medien nennen Erdogans Schwiegers­ohn Berat Albayrak, Justizmini­ster Bekir Bozdag und Verkehrsmi­nister Binali Yildirim als aussichtsr­eichste Kandidaten.

Doch nicht alle in der AKP sind offenbar bereit, Erdogans Vorgaben kommentarl­os hinzunehme­n. Gestern kursierten – unbestätig­te – Berichte über Pläne einer Dissidente­ngruppe, zum Sonderpart­eitag am 22. Mai mit einem eigenen Kandidaten aufzuwarte­n. Dort soll Davutoglus Nachfolger als Partei- und Regierungs­chef gekürt werden. Eine solche Kampfkandi­datur hätte angesichts der Überzahl von ErdoganGet­reuen zwar keine Chance auf Erfolg. Doch sie würde öffentlich dokumentie­ren, dass sich nicht die gesamte AKP dem Präsidente­n bedingungs­los beugen will. Und schon jetzt steht fest, dass es mit der oft beschworen­en Einigkeit im Lager der Regierungs­partei erst einmal vorbei ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany