Saarbruecker Zeitung

„Wir sind stolz, dass die Tour hier beginnt.“

- Von SZ-Mitarbeite­rin Sarah Konrad

Langsam schält sich der Mont-Saint-Michel aus dem Nebel. Stück für Stück offenbart er seine Silhouette, als sich der Dunst verzieht. Das Bauwerk scheint zu schweben. Irgendwo zwischen Watt und Himmel. Auf seiner Spitze thront die Figur eines Engels. Er wacht über den Granitfels­en, die verwinkelt­en Gassen, die kleinen Kapellen und die uralten Klosterräu­me. Ein mystischer Anblick, der jährlich über drei Millionen Touristen in seinen Bann zieht.

Die Tour-de-France-Fahrer werden keine Zeit haben, sich vom Mont-Saint-Michel verzaubern zu lassen. Wenn sie sich am 2. Juli vor der kleinen Insel versammeln, wenden sie ihr den Rücken zu. Konzentrie­ren sich. Warten auf den Startschus­s zum Grand Départ – dem Auftakt zum bedeutends­ten Radrennen der Welt. „Wir sind unendlich stolz, dass die Tour hier beginnt“, sagt Paul-Vincent Marchand. Er ist für die Planung des Grand Départs zuständig. Über eine Million Zuschauer erwartet er. Zum Vergleich: Das Départemen­t La Manche hat gerade einmal 500 000 Einwohner. „Jeder soll sehen, dass der Mont-Saint-Michel in der Normandie liegt und nicht zu England gehört“, erklärt er und grinst, „das glauben immer noch zu viele Menschen.“

Ein Irrtum ist auch, dass die Normandie nur für Profi-Radler zu bewältigen ist. Um das Gegenteil zu beweisen, haben Marchand und seine Mitarbeite­r ein „Jedermann-Rennen“auf die Beine gestellt. Am 26. Juni können Hobby-Radler gemeinsam die erste Etappe der Tour de France entdecken. „Die Straßen werden dann zwar nicht für den öffentlich­en Verkehr gesperrt, aber wir sorgen für die Sicherheit der Fahrer“, verspricht Marchand. Die Teilnehmer müssen nicht die komplette Etappe (188 Kilometer) radeln. Sie können auch eine verkürzte Version (entweder 80 oder 44 Kilometer) in Angriff nehmen. Und noch etwas haben die Hobby-Sportler den Profis voraus – „sie haben die Gelegenhei­t, die wunderschö­ne Atmosphäre und Landschaft zu genießen“, sagt Marchand.

Wer lieber ganz ohne Konkurrenz an den Start geht, kann sich auf den „Voies Vertes“auch alleine auf den Weg machen. Über 500 Kilometer dieser Radwanderw­ege im Grünen führen durch die Region. Sie sind gut ausgeschil­dert und bieten alle zehn Kilometer einen Rastplatz. Toiletten und Trinkwasse­r inklusive. Einen Fahrradver­leih gibt es beispielsw­eise in Pontorson. Der kleine Ort, mitten in einer Meeresbuch­t gelegen, ist ein guter Ausgangspu­nkt für Touren. Durch ihn führt der 450 Kilometer lange Veloscenic-Radweg. Dieser verbindet Paris und den von Pontorson etwa neun Kilometer entfernten Mont-SaintMiche­l. Vom Denkmal, das seit 1979 zum Weltkultur­erbe der Unesco gehört, geht’s weiter nach Granville (55 Kilometer). Geradelt wird auf „der schönsten Straße Frankreich­s“, entlang den Stränden des Atlantiks.

Der US-amerikanis­che General David Eisenhower sagte einst, auf dieser Strecke habe man die schönsten Ausblicke der Welt. Etwa über die Bucht von Groin du Sud und die Klippen von Champeaux. Eine Pause sollte der Tourist am Aussichtsp­unkt Croix Paqueret einlegen. Dort sieht er über einen scheinbar endlos langen Sandstrand mit Fototapete­n-Charakter. In der Ferne ist bereits Granville erkennbar.

13 000 Menschen leben in der Hafenstadt, in der die dritte Etappe der Tour de France startet. Vor allem im Sommer ist Granville mit Urlaubern überfüllt. Doch eine Flucht in die Stille ist problemlos: Täglich verkehren Schiffe zu den Kanalinsel­n Jersey und Chausey. In Granville zu verweilen, lohnt sich. Etwa um einen Shopping-Tag in den kleinen Boutiquen einzulegen. Fans der Haute Couture können das Christian-Dior-Museum besuchen. In der ehemaligen Villa des Modeschöpf­ers gibt’s seine Original-Kreationen Paul-Vincent Marchand, Organisato­r zu bestaunen.

Der Urlauber kann natürlich nur die Küste der Normandie erkunden, er sollte aber auch ins Landesinne­re reisen. Die Wege sind kurz. 55 Kilometer trennen etwa Granville und Saint-Lô im Herzen des Départemen­ts. Wer die Strecke nicht mit dem Fahrrad zurücklege­n will, kann sich beispielsw­eise an das Unternehme­n Abicyclett­e (www.abicyclett­e-voyages.com) wenden. Die Mitarbeite­r vermieten nicht nur Räder, sondern bieten auch einen Transports­ervice für Touristen und deren Drahtesel. Diese sollten sich aber bereits an den Roches de Ham absetzen lassen. Von dem Felsvorspr­ung aus überblickt der Urlauber die Festungsru­inen und das grüne Tal der Vire.

Die restlichen 13 Kilometer nach Saint-Lô, wo die zweite Etappe der Tour der France startet, führen vorbei am Fluss Vire. Felder, Wiesen und Bäume rahmen den ebenen Weg ein. Am Streckenra­nd gibt es viel zu entdecken. Mal ein Herrenhaus, mal ein Museum, mal eine Kirche. Wer auf der Suche nach etwas mehr Action ist, findet diese am Basis-Zentrum des „Club de canoe kayak“. Dort können Besucher in den Kanupolo-Sport reinschnup­pern. Zwei Teams mit je fünf Spielern treten dabei gegeneinan­der an. Die Sportler sitzen in Einerkajak­s und versuchen, den Ball mit dem Paddel oder der Hand ins gegnerisch­e Tor zu bringen.

Nach einer Nacht in Saint-Lô bietet es sich an, am nächsten Morgen früh nach Utah Beach aufzubrech­en. Wer die 50 Kilometer vormittags hinter sich bringt, hat nachmittag­s noch genügend Zeit, den Strand zu erkunden.

Der malerische Küstenabsc­hnitt ist fünf Kilometer lang. Er ist das historisch­e Zentrum der Normandie. Hier landeten im Zweiten Weltkrieg die Alliierten. Ein Museum, untergebra­cht in einem ehemaligen deutschen Bunker, veranschau­licht den Ablauf des D-Days. Zu sehen gibt es auch einen US-amerikanis­chen Original-Bomber, von dem weltweit nur noch drei Exemplare vorhanden sind. Zu ihm kann die Museums-Mitarbeite­rin Mireille Malbet eine besondere Geschichte

Auf der Klosterins­el können Touristen durch die verwinkelt­en Gassen schlendern.

erzählen. Der amerikanis­che Pilot David Dewhurst warf am 6. Juni 1944 um 6.24 Uhr die ersten Bomben ab. Nach 85 Missionen in Europa kehrte er zurück in seine Heimat Texas – um dort nur vier Jahre später in einem Autounfall zu sterben. Er hinterließ zwei Kinder. Die Brüder schlugen sich allein durchs Leben. Wurden reich. Der jüngere Sohn verdiente sein Geld mit Öl, der ältere wurde Gouverneur von Texas. 2007 besuchten sie Utah Beach. „Im Museum haben die beiden ein Foto ihres Vaters entdeckt“, sagt Malbet. Sie spendeten aus Begeisteru­ng über diesen Fund zwei Millionen Euro.

Von Utah Beach, dem Ziel der ersten Tour-de-France-Etappe, können Hobby-Sportler weiter in den Norden radeln. Im knapp 50 Kilometer entfernten Cherbourg wartet eine weitere Facette der Normandie. In weiten Teilen umrandet vom Atlantik widmet sich die Region auch der Unterwasse­rforschung. Im ehemaligen transatlan­tischen Hafenbahnh­of befindet sich „La Cité de la Mer“. In dem Museum gibt es Aquarien, U-Boote – und die Möglichkei­t, sich wie Jack und Rose auf der Titanic zu fühlen. Das Passagiers­chiff lief auf seiner Jungfernfa­hrt in Cherbourg ein. In nachgebaut­en Räumen können Urlauber die Reise nachempfin­den. Ein Besuch dort ist ein Muss. Genau wie noch ein paar entspannte Tage nach der Fahrradrun­dreise. Manch einer kehrt dazu wieder nach Pontorson zurück – was wohl an der magischen Anziehungs­kraft des Mont-Saint-Michel liegt.

Und wer die Fahrer mal richtig schwitzen sehen will... Marchand: Der sollte sich die zweite Etappe anschauen, die ist am schwierigs­ten. Entlang der Küste kann der Wind schon ziemlich stark wehen. Das wird wohl das größte Problem für die Fahrer.

Welches Tour-de-France-Ereignis können Sie sonst noch empfehlen? Marchand: Am 30. Juni werden um 18 Uhr in Sainte-Mère-Église die Mannschaft­en vorgestell­t. Die Präsentati­on dauert etwa fünf Stunden. Es gibt ein Feuerwerk und Musik. Wir erwarten 20 000 Gäste.

In den vergangene­n Monaten gab es Terror-Anschläge in Paris und Brüssel. Machen Sie sich Sorgen? Marchand: Mit der Organisati­on der Sicherheit habe ich nichts zu tun. Darum kümmert sich der Staat. Aber wir vertrauen der Polizei voll und ganz. Um ein Zeichen gegen den Terror zu setzen, gibt es am Ende der ersten Etappe in Utah Beach eine FriedensZe­remonie.

tourdefran­ce-manche.fr

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