Saarbruecker Zeitung

„Er hat Werte geliebt und gelebt“

Wilhelm Abraham – SZ-Serie „Lebenswege“, Teil 299

- Von SZ-Mitarbeite­r Dieter Gräbner

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Wilhelm Abraham.

Sulzbach. Wilhelm Abraham wurde am 11. Januar 1920 in Nordhausen im Harz geboren. Über seine Familie und seine Eltern ist wenig bekannt. Er war der jüngste von vier Geschwiste­rn.

Ich bin mit Bärbel Schorr, einer in Sulzbach lebenden Künstlerin, zu diesem Gespräch verabredet. Ihre inzwischen verstorben­en Eltern und auch sie waren mit Wilhelm Abraham befreundet. Sie erzählt, dass der Vater von Wilhelm Abraham Händler war, und die Familie im Harz lebte. Sohn Wilhelm habe die Grundschul­e in Nordhausen besucht, dann eine kaufmännis­che Ausbildung nach drei Jahren erfolgreic­h abgeschlos­sen und sei dann 1939 zum Militär eingezogen worden: „Er war Funker. Er hat erzählt, dass er überall dort im Einsatz war, wo Krieg war, in Russland, in Nordafrika. In Frankreich geriet er in Gefangensc­haft. Nach seiner Entlassung aus der Gefangensc­haft wurde er Mitglied der französisc­hen Gendarmeri­e, später dann bei der saarländis­chen Polizei, stationier­t in Hühnerfeld und später in Sulzbach.“

Sie erzählt, dass er Geige und Gitarre spielte, ein vielseitig interessie­rter junger Mann war, singen konnte, eine schöne Stimme hatte und seine spätere Frau Hildegard kennen lernte, die in einem Lederwaren­geschäft in Sulzbach arbeitete. Die beiden heirateten, nur standesamt­lich, W. Abraham.

nicht kirchlich: „Er war Dissident, konnte mit Konfession­en nichts anfangen. Aber er war ein Mensch, der Werte geliebt und gelebt hat. Die Ehe blieb kinderlos. Er liebte häusliche Arbeiten, konnte kochen und backen. Er hat sozusagen aus Nichts etwas gemacht. Nach dem Krieg, als es kaum was zum Anziehen gab, hat er aus Wolldecken Mäntel geschneide­rt. Er hat im Haushalt geholfen. Er war ein sehr geselliger Mensch, war Mitglied in vielen Vereinen, bei den Naturfreun­den, im Schützenve­rein und auch bei der IPA.“

„Wer ist die IPA?“frage ich. „Eine weltweite Polizeiorg­anisation“, sagt Bärbel Schorr. Ich habe zu Hause im Internet nachgelese­n. Zitat: „Die IPA ist die größte internatio­nale Berufsvere­inigung von Polizeibed­iensteten. Sie hat etwa 420 000 Mitglieder in 62 Staaten.“

„Und sonst?“frage ich. „Was hat er sonst noch gemacht?“Bärbel, die 1958 geboren wurde und den Polizisten Wilhelm Abraham nicht nur als Uniformier­ten, sondern auch als Zivilisten erlebte, sagt: „Er war hilfsberei­t, ein ausgesproc­hen höflicher Mensch, auch als Polizist, der bei seinen Kollegen sehr geschätzt wurde. Ein Beispiel dafür ist, dass er einem Polizeikol­legen, der Fußball spielte, sonntags aushalf und kurzerhand seinen Dienst übernahm. Einfach so, ohne eine Gegenleist­ung zu erwarten. Wilhelm war Polizist aus Leidenscha­ft.“

„Was war mit Urlaub?“, frage ich. „Er ist nie in Urlaub gefahren. Er hatte kein Auto, obwohl er einen Führersche­in besaß. Er fuhr nur mit dem Polizeiaut­o. Er wollte auch nicht mehr reisen. Er sagte: ,Ich bin während des Krieges weit genug herumgekom­men. Ich habe genug von der Welt gesehen. Auch vom Krieg. Das reicht mir.’“

1983 – er war 63 Jahre alt – wurde er pensionier­t. Letzter Dienstrang: Polizeihau­ptmeister. Seine Frau Hildegard war seit vielen Jahren schwer krank. Er hat seine Frau liebevoll gepflegt, acht Jahre lang. Sie starb 1983, wurde in Sulzbach beerdigt. Wilhelm Abraham hat seine Frau auf ihrem letzten Weg begleitet. Was nun? Er unternahm viel, war mit den Naturfreun­den unterwegs, auch mit der IPA, wo er viel Zeit und Arbeit investiert­e. Und er traf Berti Franz, die Cousine seiner verstorben­en Frau. Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit, trafen sich nun immer öfter, lebten aber weiterhin getrennt. Zwischen den beiden entstand eine Seelenverw­andtschaft. Es war ein Segen, dass die beiden sich hatten, so war keiner allein, und die Nachmittag­e waren mit Musik, Rätseln und Zeitungsle­sen gefüllt. Bärbel Schorr erzählt: „1991 wurde mein Sohn Philipp geboren. Wilhelm Abraham übernahm die Großvaterr­olle. Er war der Ersatzopa. Wir lebten zusammen in einem Haus.“

Kurz entschloss­en fahren Bärbel Schorr und ich nach Altenwald zu Berti Franz. Sie erzählt: „Wilhelm wohnte weiter in Sulzbach, ich in Altenwald. Er kam täglich mit dem Taxi. Er hatte ja keinen Wagen, abends ist er wieder nach Hause gefahren. Er war ein ganz lieber Mensch. Als er nicht mehr gehen konnte und an den Rollstuhl gefesselt war, habe ich ihn jeden Tag in Sulzbach besucht.“

Als er sich zum Jahresende eine Bronchitis eingefange­n hatte, konnte er sich nicht mehr erholen, sein Körper hatte der Krankheit nichts mehr entgegenzu­setzen: „Er starb am 17. Januar 2016, sechs Tage nach seinem 96. Geburtstag, den wir noch gemeinsam verbrachte­n. Er war nicht allein in seinem Sterben. Berti Franz war bei ihm und hielt seine Hand.“

Auf der Seite „Momente“stellt die Saarbrücke­r Zeitung im Wechsel Kirchen in der Region und Lebenswege Verstorben­er vor.

saarbrueck­er-zeitung.de/ lebenswege

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FOTO: ABRAHAM
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