Saarbruecker Zeitung

Der rote Rebell verliert seinen Rückhalt

Die Elite der britischen Arbeiterpa­rtei bläst zur Attacke auf den Chef

- Von afp-Mitarbeite­r James Pheby

London. Jeremy Corbyn genießt das Image eines Sanftmütig­en, doch an seinem Chefposten lässt der 66-Jährige nicht gern rütteln. Seinen internen Kritikern ruft er in Erinnerung, er sei „von hunderttau­senden Labour-Mitglieder­n und -Anhängern mit überwältig­endem Auftrag für eine andere Art der Politik gewählt worden“. Zurzeit proben einflussre­iche Mitglieder seines Schattenka­binetts den Aufstand: Mit der Begründung, Corbyn habe nicht entschloss­en genug gegen den EU-Austritt mobil gemacht, wollen sie ihn zur Strecke bringen. Die Biografin des Polit-Veteranen warnt allerdings davor, seine Zähigkeit zu unterschät­zen. „Jeremy Corbyn hat seit 50 Jahren Intrigen geschmiede­t, um in der Politik weiterzuko­mmen“, meint Rosa Prince. Nun klammere sich der Labour-Chef „mit eiserner Faust“an seinen Spitzenjob.

Die Leidenscha­ft für die Politik wurde Corbyn in die Wiege gelegt. Die Eltern lernten sich als Aktivisten des Spanischen Bürgerkrie­gs kennen. Corbyn wuchs zusammen mit drei Brüdern im Westen Englands auf. Nach dem Abitur wurde er von einer Hilfsorgan­isation für zwei Jahre nach Jamaika geschickt. Später arbeitete

Unter Druck: der Labour-Vorsitzend­e Jeremy Corbyn.

er für Gewerkscha­ften, bis er 1983 ins Londoner Unterhaus einzog. Seither lebt er im Londoner Viertel Islington, als Radfahrer, ohne Auto. In dritter Ehe ist Corbyn mit einer 20 Jahre jüngeren Mexikaneri­n verheirate­t.

Seine große politische Stunde schlug nach der Parlaments­wahl 2015, bei der Labour eine schwere Schlappe erlitt. Die Vorgänge um die Wahl des Labour-Chefs im September sind noch gut in Erinnerung: Corbyn galt als krasser Außenseite­r bei der Bewerbung um die Nachfolge von Ed Miliband. Ein Vorsitzend­er, der gern in Sandalen und mit Teetasse in der Hand auftritt, der als Abgeordnet­er schon mehr als 500 Mal gegen die Parteilini­e abgestimmt hat? Vieles sprach gegen den Rebellen, auch der frühere Premier Tony Blair versuchte ihn zu verhindern. „Wenn Corbyn Parteichef wird, bedeutet das Niederlage, vielleicht Vernichtun­g“, warnte Blair. Dessen sozialisti­sche Positionen würden die Wähler den Konservati­ven in die Arme treiben. Dennoch erhielt Corbyn bei der Urwahl fast 60 Prozent der Stimmen.

Weil sich der Labour-Chef nur halbherzig für den Verbleib des Königreich­s in der EU engagierte, haben seine Kritiker neues Futter erhalten. „Es ist ziemlich klar, dass Corbyn emotional dem Brexit verbunden geblieben ist“, analysiert­e Matthew Norman im „Independen­t“. Dieser Schlingerk­urs habe auch den Nimbus des Parteichef­s zerstört, „fest zu seinen Prinzipien zu stehen, wie überholt diese auch sein mögen“. Der Gegenwind, dem Corbyn standhalte­n muss, wird immer stärker. Mehr als die Hälfte der Mitglieder seines Schattenka­binetts haben sich bereits aus dem Gremium zurückgezo­gen. Die bislang für Unternehme­nspolitik zuständige Angela Eagle formuliert­e Klartext: Es sei für Corbyn Zeit, endlich abzutreten, forderte sie. Der Angegriffe­ne jedoch belehrte seine Kritiker, wer immer die Parteiführ­ung ändern wolle, müsse dies bei einer demokratis­chen Wahl tun. Und dann „werde ich Kandidat sein“.

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FOTO: AFP

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