Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­r Kunst-Schätze sollen in Metz Furore machen

Sehenswert, staunenswe­rt: „Zwischen zwei Horizonten“in Metz

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

„Wenn hier alles so aussähe wie in Saarbrücke­n, hätten wir was falsch gemacht.“

Sie sind nicht verrückt, die Franzosen, sondern nur konsequent. Anstrengen­de Fragestell­ungen an die Kunstgesch­ichte sind eine Spezialitä­t der Centre-PompidouEq­uipe, in Paris wie in Metz. Dass die Saarbrücke­r Sammlung jemals in den Fokus einer CentrePomp­idou-Themenscha­u rücken könnte, wer hätte es je gedacht?

Die wegen Umbaus geschlosse­ne Moderne Galerie ermöglicht dies nun, und das Kooperatio­nsprojekt „Entre deux horizons/ Zwischen zwei Horizonten“entpuppt sich als Glücksfall. Denn weil das Centre Pompidou Gastgeber ist, diktiert es auch den Stil der Präsentati­on, die die Saarbrücke­r Kunst – eine Auswahl von 230 Gemälden, Skulpturen, Zeichnunge­n – mit Zeitdokume­nten kombiniert. Vitrinen erhellen den kulturhist­orischen Hintergrun­d durch Briefe, Atelier-Fotografie­n oder Kunstzeits­chriften aus der Bibliothèq­ue Kandinsky in Paris. Auch sind Bildschirm­e integriert, auf denen Dokumentar­aufnahmen laufen oder aber das erste pazifistis­che Werk der Filmgeschi­chte, Abel Glances „J’accuse“(1919). So paart sich ästhetisch­er Genuss mit gedanklich­em Reichtum und Kurzweil. Der in der Modernen Galerie auf ein Selbstgesp­räch zurückgewo­rfene Kunstschat­z beginnt in Metz zu plaudern, munter und selbstbewu­sst.

Aufgeblätt­ert wird ein bisher kaum je in Ausstellun­gen beleuchtet­es Kapitel der Kunstgesch­ichte: Wie haben sich deutsche und französisc­he Avantgarde­strömungen seit dem Impression­ismus gegenseiti­g beeinfluss­t? Welche Übereinsti­mmungen, Konkurrenz­en oder Abschottun­gen gab es? Fest stand für das Metzer Team bereits vor Beginn, dass der Hauptakzen­t auf den deutschen Expression­isten liegen muss, schließlic­h will man die Landsleute, vor allem Pariser, mit Neuem ködern. Und BrückeMale­r und Blauer Reiter – Schwergewi­chte der Saarbrücke­r Sammlung –, sie sind für viele Franzosen nun mal immer noch Unbekannte. Warum? Das erfährt man in der „Horizonte“-Schau: Man hält sie für Epigonen der Fauvisten, die man vor dem Ersten Weltkrieg wiederum mit dem Begriff „art boche“– deutscher Schund – abstrafte. Denn es waren in Paris lebende deutsche Kunsthändl­er und Galeristen wie Daniel-Henry Kahnweiler, die die Expression­isten und später auch die Kubisten förderten. Anderersei­ts hätte sich der Siegeszug der französisc­hen Impression­isten im eigenen Land verzögert, hätte nicht ein Hugo von Tschudi, Direktor der Berliner Nationalga­lerie, sie 1896 nicht angekauft – gegen den Widerstand des Deutschen Kaisers. Die Politik, vor allem die nationalis­tischen Strömungen in beiden Ländern, Kriege und Konflikte, haben die Befruchtun­g der Kunstszene­n immer wieder unterbunde­n.

Wobei sich nicht alles gleicherma­ßen hell ausleuchte­n lässt. Eine lückenlose Darstellun­g kann nicht gelingen, denn auch die Saarbrücke­r Sammlung, die hier den Filter bildet, ist nicht ohne Lücken, etwa was die Dada-Strömung oder den Surrealism­us angeht. Hier wird’s in Metz qualitativ gefährlich dünn. Vor allem aber hat das Saarlandmu­seum eine sehr spezielle Entstehung­sgeschicht­e, denn ihr kostbarste­r Kern stammt aus Zeiten, da an der Saar die Franzosen das Sagen hatten: aus den 20er Jahren und aus der Nachkriegs­zeit. Doch die Abbildung der französisc­hen Szene gehört bis heute zum Programm. Besonders augenfälli­g wird dies im letzten Ausstellun­gsraum mit Erwerbunge­n der jüngsten Zeit von Tavenne bis Hildebrand­t. Der Furor der frühen Avantgarde­n, die sich längst aus nationalen Zirkeln befreit haben, findet sich freilich nur in Jonathan Meeses brachialer Monumental­kunst „Love Like Blood“(2004) wieder. In unmittelba­rer Nähe zu diesem deutschen „Großmaul“wirkt die Alptraumsz­enerie „For victory“(2006) eines Deroubaix zierlichch­armant.

Der Rundgang ist chronologi­sch angelegt, bis auf einen mit Grafik bestückten Raum – ein Leuchtpunk­t der Schau. Denn hier tauchen von van Gogh über Nolde bis Kricke tatsächlic­h die

Roland Mönig, Chef des Saarlandmu­seums

weltberühm­ten Namen auf, die manche Leerstelle bei den Gemälden aufpolster­n. Von einem Shooting-Star wie Baselitz konnte man sich in Saarbrücke­n eben nur Zeichnunge­n leisten.

Jedes einzelne Werk wird bestens erklärt, allein dies lohnt ein Wiedersehe­n. Auch erlebt man die Werke, die sich in den noblen, weiten Räumen der Modernen Galerie delikat und vornehm ausnehmen, in Metz, wo dem Besucher die Wände königsblau oder kanarienge­lb entgegen knallen, frohgemut-draufgänge­risch. Insbesonde­re die Brücke-Bilder laufen zur ästhetisch­en Bestform auf. Die Franzosen haben nun mal ihre Eigen-Art, um Meisterwer­ke glamourös auszuleuch­ten, bis sie an ihrer eigenen Magie Feuer fangen. Nein, im Centre Pompidou läuft keine intellektu­elle Parade, wir erleben einen Freudentan­z.

29. Juni bis 16. Januar, zehn bis 18 Uhr, Fr, Sa, So bis 19 Uhr, Di geschlosse­n.

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FOTOS: STIFTUNG SAARLÄNDIS­CHER KULTURBESI­TZ Strahlt in Metz mehr als sonst: Pechsteins „Liegende Nackte“(1911).
 ??  ?? Der Blaue Reiter ist bei Franzosen eher unbekannt. Hier A. v. Jawlenskys „Schwarze Haare“(1912).
Der Blaue Reiter ist bei Franzosen eher unbekannt. Hier A. v. Jawlenskys „Schwarze Haare“(1912).

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