Plötzlich lieben alle
Nationalstürmer Mario Gomez war völlig außer Mode – Nun trifft er wieder
Alles ist wie immer: Wenn Mario Gomez spielt, trifft er. Dennoch war der Stürmer drei Jahre lang weg vom Fenster. Inzwischen ist er wieder Deutschlands große Sturmhoffnung – auch gegen Italien am Samstag.
Évian. Wie aus dem Ei gepellt. Die Haare modisch, das Lächeln eines Topmodels, nicht aufgesetzt, sondern selbstbewusst wirkte Mario Gomez gestern auf dem Pressepodium in Évian. Er ist wieder „en vogue“, der Stürmer. Zwei Tore hat der 30-Jährige bisher bei der Fußball-EM in Frankreich für die Deutschen erzielt, ist mit fünf Toren und mit Jürgen Klinsmann Deutschlands bester EMTorschütze der Geschichte. „Für mich zählt nur, dass wir Europameister werden“, sagte er gestern auf der Pressekonferenz. Am Samstag, im Viertelfinale gegen Italien (21 Uhr), ist er gesetzt, keine Frage. „Ich glaube an uns und glaube, dass wir sehr gut da stehen. Das wird ein sehr unangenehmes Spiel. Es wird ein sehr spannendes Spiel. Harte Arbeit“, fügte er an. Selbstbewusst wirkte der 30jährige Stürmer, der bei dieser EM wieder top in Form ist. Er ist wieder in Mode, der Gomez.
Dabei war er drei Jahre lang die „Schlaghose des Fußballs“. Außer Mode. Für vergleichsweise läppische 25 Millionen Euro wechselte er 2013 vom damaligen Triple-Sieger Bayern München zum AC Florenz. Zu keinem Champions-LeagueClub, der in einer Liga spielt, die bis heute aus der Zeit gefallen scheint. Gomez war damals 27 Jahre alt, im besten Fußballer-Alter also, und er war und ist ein Stürmer. Keine „falsche Neun“, kein kleiner Wusler, den damals jeder Trainer in seinem Tiki-Taka-Spielerschrank haben wollte.
Gomez war nahezu ein Ladenhüter. Da spielte es keine Rolle, dass der Stuttgarter für den FC Bayern in 174 Spielen 113 Tore schoss, dass er 2011 mit 28 Toren Torschützenkönig wurde, 2012 26 Mal traf, zwölf Tore in der Champions League schoss. Nur Lionel Messi hat mal mehr Tore in der Königsklasse erzielt. Dass in der Bundesliga nur Gerd Müller und Jupp Heynckes eine bessere Tor-pro-Spiel-Quote haben – egal. Gomez war weg vom Schaufenster.
Mehr noch: Er galt jeder Statistik zum Trotz als Chancentod. Wegen einer Szene. Die, als er bei der EM 2008 gegen Österreich in Wien aus weniger als einem Meter eine Chance versemmelte. Als sich dann auch noch Pep Guardiola als Bayern-Trainer ankündigte, der FCB um Robert Lewandowski buhlte, da war Gomez beim FC Bayern endgültig ein Fall für die Mottenkiste.
Als es auch in Florenz nicht lief, als er nach zwei Jahren und zwei schweren Knieverletzungen „als Missverständnis“den Verein verließ, lag er für viele gar im Altkleider-Container der Fußballgeschichte. Dennoch „mag ich Italien nach wie vor, und einen Groll hege ich auch nicht“. Damals pfiffen Nationalmannschafts-Fans ihn aus, und Joachim Löw nominierte ihn 2014 nicht für die WM in Brasilien. Obwohl es in Brasilien Spiele gab, zum Beispiel gegen Algerien oder Ghana, in denen Gomez, die alte Schlaghose, dem deutschen Spiel gut gestanden hätte.
Und so wurde Kevin Großkreutz Weltmeister – und Gomez nicht. „Das war es nicht. Das geht nicht“, erinnerte er sich in einem Interview mit dfb.de. „Meine Zeit in der Nationalmannschaft kann so nicht zu Ende gehen. Ich will. Ich will. Ich will unbedingt mit diesem Team die EM spielen – und sie gewinnen“, nahm er sich damals vor. Deswegen ging er in die Türkei. Zu Besiktas Istanbul. Für viele ein Schritt in den Fußball-Ramschladen.
Für Gomez war es der Richtige: Er arbeite an Fitness, Passspiel, Beweglichkeit, bekam das Vertrauen des Trainers, der sein Spiel stylish fand. Gomez schoss 26 Tore (Torschützenkönig), fand sein Selbstvertrauen wieder, und Löw erinnerte sich an die Schlaghose. Wohl auch, weil er sonst nur Friesennerze im Stürmer-Schrank hatte. Er lud ihn wieder ein – für Gomez „eine Bestätigung“. Und nun trifft er wieder, und die Fans kaufen Gomez-Trikots. Das wohl schönste Revival der deutschen Stürmergeschichte.