Saarbruecker Zeitung

Mit dem Taxi zum Blutbad

Selbstmord­attentäter reißen an Istanbuler Flughafen über 40 Menschen in den Tod – Kritik an Erdogan wächst

- Von SZ-Mitarbeite­rin Susanne Güsten

Es ist ein warmer Sommeraben­d in Istanbul, am Atatürk-Flughafen kommen gerade um diese Tageszeit viele Maschinen aus dem Ausland an. Die Passagiere werden von Freunden oder Verwandten abgeholt, die über eine Zugangssch­leuse in die Ankunftsha­lle des internatio­nalen Teils des Flughafens kommen. Doch irgendetwa­s stimmt nicht, bemerken einige Polizisten. Die Beamten, so wird es die Zeitung „Hürriyet“später melden, werden misstrauis­ch, als sie unter den Menschen an der Schleuse einen Mann in einem Mantel sehen – bei Temperatur­en von mehr als 30 Grad eine sehr ungewöhnli­che Kleidung. Offenbar soll der Mantel einen Sprengstof­fgürtel oder eine Kalaschnik­ow verstecken.

Als die Beamten den Mann und seine Begleiter stellen, eröffnen sie das Feuer, kurz darauf sprengt sich ein Täter in die Luft. Für die Menschen, die am Röntgenger­ät der Sicherheit­sschleuse warten, gibt es kein Entrinnen. Ein zweiter Attentäter läuft durch das Chaos, um in die Ankunftsha­lle zu gelangen, geht nach einem Schuss der Polizei zu Boden und zündet ebenfalls eine Bombe. Ein weiterer Angreifer eröffnet vor der Ankunftsha­lle das Feuer auf Wartende an einem Taxistand. Mindestens 44 Menschen sterben. Über 200 Menschen werden verletzt, darunter nach Angaben des Auswärtige­n Amtes in Berlin auch eine Deutsche.

Die Wucht der Explosione­n reißt Teile der Deckenverk­leidung des Terminals ab, Menschen rennen schreiend um ihr Leben. Die Behörden sperren die Zufahrtsst­raßen und schicken Dutzende Rettungswa­gen zum Tatort, während schwer bewaffnete Polizisten nach möglichen weiteren Angreifern suchen. Die Bilder gleichen denen vom Anschlag in Brüssel vom März, der auf das Konto von IS-Schergen ging.

Eine türkische IS-Zelle mit Hilfe einiger Täter aus Zentralasi­en habe den Istanbuler Airport angegriffe­n, sagt Terrorexpe­rte Metin Gürcan. Nach seinen Informatio­nen waren sieben Männer am Anschlag beteiligt. Drei seien tot, einer sei festgenomm­en, drei seien noch auf der Flucht. Auch „Hürriyet“meldet sieben Täter. Die Behörden schweigen dazu.

Wie in Brüssel wird auch in Istanbul der Flugbetrie­b erst mal eingestell­t, doch nur wenige Stunden später starten und landen die ersten Maschinen wieder, wie der nach Istanbul geeilte Ministerpr­äsident Binali Yildirim noch in der Nacht mitteilt: Die Türkei will zeigen, dass sie sich nicht einschücht­ern lässt. Yildirim lässt die geschockte Nation auch wissen, dass es keine Sicherheit­smängel am Flughafen gegeben habe. Laut Medienberi­chten ergab die Auswertung von Sicherheit­skameras jedoch, dass die Täter den Anschlagso­rt am Morgen inspiziert hatten und am Abend mit einem Taxi für das Blutbad zurückkehr­ten. Obwohl alle Fahrzeuge am Istanbuler Airport eine Polizeikon­trolle passieren müssen, bevor sie an die Terminals gelangen können, bleiben die Waffen des Terrorteam­s unentdeckt.

Der Anschlag vom Dienstag war die dritte Bluttat des IS in Istanbul in diesem Jahr. Im Januar tötete ein Extremist in der Altstadt zwölf deutsche Touristen, im März sprengte sich ein IS-Anhänger auf der Einkaufsst­raße Istiklal Caddesi in die Luft und tötete drei Israelis und einen Iraner. Auch der jüngste Angriff galt Ausländern: Der Ankunftsbe­reich des Inlands-Terminals blieb unbehellig­t.

Regierungs­gegner werfen der Führung um Präsident Recep Tayyip Erdogan angesichts der permanente­n Bedrohung durch den IS vor, nicht entschloss­en genug zu handeln. So seien Terrorexpe­rten der Polizei im Zuge der Säuberungs­wellen bei den Sicherheit­sbehörden in den vergangene­n Jahren versetzt oder gefeuert worden, weil sie Anhänger von Erdogans Widersache­r Fethullah Gülen sind. Ein Rezept gegen die Gefahr besitzt Ankara auch deshalb nicht. Und so breitet sich ein Gefühl der Verunsiche­rung im Land aus. Ein Land, in dem nicht nur der IS mordet, sondern auch Anhänger der Terrorgrup­pe PKK. Fast 300 Menschen sind laut Berechnung­en in der Türkei binnen eines Jahres bei Terroransc­hlägen ums Leben gekommen.

Die Türkei braucht Hilfe. Allerdings steht sie nach Jahren des überaus selbstbewu­ssten Auftretens als selbst ernannte Führungsma­cht im Nahen Osten isoliert da. Schon vor dem jüngsten Anschlag hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass Erdogan dem gegensteue­rn will. Am Wochenende besiegelte er eine Wiederannä­herung an Israel und bemühte sich um ein Ende der Krise mit Russland. Zugleich wurde in den vergangene­n Tagen der Ruf nach einer Neuausrich­tung der türkischen Syrien-Politik laut, die bisher kompromiss­los auf einen Sturz von Präsident Baschar al-Assad ausgericht­et ist und im Dienste dieses Zieles den Erfolg diverser – auch islamistis­cher – Rebellengr­uppen in Syrien anstrebt. Ob der Anschlag vom Dienstag eine solche Wende beschleuni­gen kann, blieb aber zunächst unklar.

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FOTO: IMAGO Momente des Grauens: Mit Bomben-Gürteln verwüsten die Attentäter Teile des Flughafens und töten Dutzende Reisende.

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