Die Drohung von Brüssel
Die EU zeigt sich gegenüber London geschlossen – zum Glück
Die Wehmut des Abschieds passte nicht zur Realität. Die weihevollen Erinnerungen einiger europäischer Staats- und Regierungschefs konnten bei diesem Gipfel die erneute tiefe Verärgerung nicht überdecken. Dass der britische Premier David Cameron es wagte, auch nach dem feststehenden Brexit mit leeren Händen bei den EUPartnern in Brüssel aufzutauchen, hat die Wut auf den Mann, der dieses Referendum zu verantworten hat, nur noch angeheizt. Der Konservative konnte nichts vorweisen: keinen Plan, kein Ziel, keinen Vorschlag für eine künftige Kooperation.
Sich hinter seiner Rücktrittsankündigung zu verstecken, war feige. Und falls irgendeiner von Camerons Nachfolgern hoffen sollte, er werde in Brüssel auf eine verzagte Union treffen, der man leicht Zusagen abhandeln kann, wird er sich irren. Die Gemeinschaft scheint fest entschlossen, das Scheidungsverfahren zu ihren Bedingungen durchzuführen. Das heißt: Dieses Referendum ist keine unverbindliche Willensbekundung, die man verzögern oder schönreden kann. Sie ist Fakt. Brüssel wird seine kostbaren Errungenschaften – vom Binnenmarkt über die Niederlassungsfreiheit bis zu den Sozialstandards – nicht verschleudern. Die Briten haben sich nach der Volksabstimmung noch nicht einmal sortiert, da sind Zusagen, die sie bisher hatten, schon vom Tisch: Der EUDeal mit London – gekippt. Der
GLOSSE Briten-Rabatt – Geschichte. Brüssel bestimmt die Verhandlungen – zumindest bisher. Und man bereitet sich auf neue Bündnisse vor: Der Empfang der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon spricht Bände. Wer auch immer in London die Brexit-Verhandlungen als Premier übernimmt, wird sich warm anziehen müssen.
Diese viel zu seltene Geschlossenheit hat natürlich damit zu tun, dass die Staatenlenker das Signal an andere Wackelkandidaten in den eigenen Reihen aussenden wollen: Lasst die Finger von ähnlichen Referenden, denn ihr werdet draufzahlen.
Man hätte sich gewünscht, dass die 27 schon eher dermaßen deutlich die europäischen Errungenschaften verteidigen, anstatt sich ständig von dem Land über den Tisch ziehen zu lassen, das am wenigsten Europa wollte.
Die Drohgebärden ersparen der Union aber keine Selbstreflexion. Dass in Brüssel gerade Abgeordnete, Kommissare und sonstige Funktionsträger ausschwärmen, um ihr Tun ins rechte Licht zu rücken, zeigt die Angst vor dem, was nun auch kommen muss: eine breite Reformdiskussion. Für die war es bei diesem Spitzentreffen wohl noch zu früh. Zu schnell hätten die EU-Gegner daraus ein Bekenntnis der eigenen Fehlerhaftigkeit gebastelt und gleich die komplette Auflösung der Union verlangt. Dazu wird es nicht kommen, zu wichtig, zu unverzichtbar bleibt die Gemeinschaft.