Saarbruecker Zeitung

„Der Mensch ist eine böse Spezies“

Die Philosophi­n Bettina Stangneth stellt uns kein gutes Zeugnis aus

- Von SZ-Mitarbeite­r Roland Mischke

Wir dürfen keine Illusionen haben, erklärt die Philosophi­n Bettina Stangneth in ihrem jüngsten Buch. Das Böse diktiert unsere Welt. Aber wer ist das Böse? Nicht anderes als wir selbst, voller Hass und Ichsucht.

Saarbrücke­n. Es gibt Verkäufer, Personalch­efs und Vorstände, die „Selbstopti­mierer“sein wollen. Ein Begriff unserer Zeit, in der das Finale des Kapitalism­us ansteht und dessen Repräsenta­nten noch rausholen wollen, was geht. Sie seien nicht weit entfernt von Selbstmord­attentäter­n, sagte die Philosophi­n Bettina Stangneth provokativ. Selbstopti­mierer sind in ihrer Sicht ausschließ­lich auf sich selbst, auf ihr Ich fixiert. Alles, was es sonst noch an Ansichten gibt, interessie­rt sie kaum; und Zeitgenoss­en gegenüber, die anders denken und leben, können sie mit gewaltiger Bosheit begegnen.

Das schreibt die Hamburger Philosophi­n, die 2011 mit ihrem Buch „Eichmann vor Jerusalem. Das unbehellig­te Leben eines Massenmörd­ers“internatio­nal bekannt wurde. Sie erklärte endgültig, warum der Biedermann ein bereitwill­iger Massenmörd­er war. Selbst die „New York Times“druckte einen großen Artikel darüber. Stangneth kennt sich beim Bösen aus, sie ist eine Kant-Expertin und zitiert aus dem 1792 verfassten Text des Königsberg­er Denkers „Über das radicale Böse in der menschlich­en Natur“. Kants Diktum: „Die Menschen sind eine böse Spezies“. Weil sie lügen, betrügen, morden und derzeit vielfach über Flüchtling­e urteilen, die sie nicht kennen und deshalb nicht anerkennen wollen. Sie brüllen, werfen Brandbombe­n in Flüchtling­sheime, greifen im Rudel Einzelne an, wollen ihnen wehtun, sie womöglich vernichten. Warum? Weil ihr Denken böse ist, sagt Stangneth.

Der Philosophi­n geht es um Welterklär­ung und -deutung. Das böse Denken verdammt die Vernunft, die Freiheit und die Aufklärung. Im Sinne Kants sind diese Menschen nicht imstande, sich aus ihrer selbstvers­chuldeten Unmündigke­it zu befreien. Sie haben keine Priester mehr, die ihnen die Grundlagen des Religiösen vermitteln; alle Moralgebot­e sind reduziert, dem Fremden wird nicht mit Barmherzig­keit, sondern mit Hass begegnet. Hass ist nichts anderes als ultimativ böses Denken. Was gebraucht wird, ist vernünftig­es Denken – für die Kantianeri­n die Voraussetz­ung für souveränes menschlich­es Handeln. Der vernünftig­e Mensch sieht den Fremden als seinesglei­chen. Und begegnet ihm fair. Es gebe, so Stangneth, den „Wunsch nach Zusammenha­ng, nach Sinn, nach Konsistenz“und er „macht uns alle gleich“. Wird die Vernunft aber verleugnet, kommt das Böse ins Spiel. Wissen und Wissenscha­ft erhöhten die Urteilsfäh­igkeit, glaubte auch Kant. Er nannte das Aufklärung und propagiert­e ihn als volkserzie­herisches Bettina Stangneth Programm. Es geht um Werte und Tugenden, um Einfühlung, Erkenntnis, Empathie. Böses Denken will das alles nicht. Nachdenken muss deshalb geübt und gelehrt werden, schreibt die Autorin. Das ist die wahre nationale Aufgabe jedes Bürgers, jedes Staates.

Damit stellt sich Bettina Stangneth zwar nicht gegen die Pädagogik, Soziologie, Psychologi­e und Psychoanal­yse; sie spricht ihnen aber einen großen Teil ihrer Bedeutung ab. In unserer Gegenwart mit ihrer „um die Digitalisi­erung erweiterte­n Realität“geht es nach ihrer Ansicht um „Erfahrunge­n in der Unterschei­dung zwischen Fiktionen und Fakten“. Das müsse gelernt werden, mehr denn je. Selbstermä­chtigung im Namen des „Selberdenk­ens“ ist das Ziel dabei. Die Vernunft soll von Fakten geleitet und von der Ethik durchdrung­en sein. Im Klartext: Was gut und was böse ist, das müssen wir lernen im „Nebeneinan­der der Monologe“, in sozialen Netzwerken, in denen der Hass kursiert.

Das ist keine leichte Lektüre. Aber wer sich auf Stangneths Ausführung­en über Tage hinweg einlässt, lernt viel über sich selbst und andere. Dieses Buch ist eine Einladung zum Denken mit moralische­n Konsequenz­en. Raus aus der Ichsucht, weg von der „Selbstopti­mierung“– und hin zum gemeinsame­n Leben. Ein wichtiges Buch.

Bettina Stangneth: Böses Denken. Rowohlt Verlag, 254 Seiten, 19,95 Euro.

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