Das Flüstern der Figuren
Vielleicht liegt es daran, dass wir zu rastlos geworden sind. Vielleicht daran, dass wir Geiz für geil halten. Vielleicht aber auch daran, dass man uns lange genug erklärt hat, dass alles effizient sein muss und nützlich. Vielleicht ist es auch von all dem ein bisschen, das dazu geführt hat, dass neuere öffentliche Gebäude nicht schön sind. Jedenfalls nicht so schön, dass sie dazu einladen, stehen zu bleiben, zu schauen, zu staunen.
Als Georg Hauberrisser vor 120 Jahren mit dem Bau des Rathauses St. Johann begonnen hatte, da gab es noch keine Smartphones, auf die die Menschen geschaut haben, während sie durch die Stadt gelaufen sind. Da wurde nicht nachgerechnet, ob dieser vermeintliche Firlefanz wirklich gebraucht wird oder man das Geld lieber spart. Da war Schönheit etwas wert. Da haben die Menschen noch die Köpfe gehoben, um sich Geschichten erzählen zu lassen. Geschichten, von denen die Figuren an der Fassade des 1909 fertiggestellten Rathauses kündeten – einige aus Bronze gegossen, andere aus Sandstein gemeißelt.
St. Georg tötet den Drachen. Ein Bergmann, ein Hüttenarbeiter, ein Bauer, ein Kaufmann, ein Bierbrauer, ein Gerber stehen da. Sie, einige Wächter und Tiere flüstern heute noch Geschichten nach unten für diejenigen, die sich die Fähigkeit bewahrt haben, ihr Geraune im Lärm, den unsere Stadt verursacht, zu hören.
Vielleicht klingen ihre Geschichten in unseren Ohren verrückt, sonderlich, abgedreht und antiquiert. Vielleicht bringen sie uns aber auch zum Nachdenken darüber, dass Geiz womöglich doch nicht so geil ist und dass Effizienz nicht alles ist.
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