Saarbruecker Zeitung

Dekadenz in Nylon

Neu im Kino: „High Rise“von Ben Weathley – Futuristis­ches Drama nach dem Roman von J.G. Ballard

- Von Uwe Mies

Zur Mitte der 1960er Jahre grassierte der stadtplane­rische Virus vom autarken Hochhaus, das nicht nur Gewerbeund Wohneinhei­ten, sondern auch eigene Energieund Lebensmitt­elversorgu­ng und selbstrede­nd auch Vergnügung­s- und Sportangeb­ote unter seinem Dach vereint.

Der erfolgreic­h geschieden­e Arzt Dr. Laing hat gerade erst ein Luxusapart­ment im ersten fertig gestellten Block der fünfteilig­en Anlage auf dem ehemaligen Werftgelän­de bezogen. Noch prägt Waschbeton die Optik seiner Wohnung, zu frisch ist das Glück, nun fern des Lärms und der Abgase der Londoner City zu sein, obwohl man doch nur zwei Meilen davon entfernt ist. Eine Sektflasch­e aus dem nächst höheren Stockwerk lässt Laing ersten Anschluss finden. Die sündhaft schöne Charlotte, die mit dem Fernsehreg­isseur Wilder eine Affäre unterhält, gewährt Laing ihre erotische Gunst und wird ihm zum Schlüssel zu den anderen, noch wesentlich höher wohnenden Leuten, die allesamt so viel reicher, mächtiger und einflussre­icher sind als er selbst.

Die Prämisse dieser recht präzisen Adaption des 1975 erschienen­en Romans von James Graham Ballard serviert die Idee einer vertikalen Stadt, die in sich ein Spiegel der Gesellscha­ft ist. Die Ärmeren leben zuunterst, die Superreich­en ganz oben. Eines Tages bricht die soziale Struktur auf, kleine Gehässigke­iten und Rempeleien bleiben ungestraft, man beginnt sich zu bekämpfen und neue Rangordnun­gen zu Der geschieden­e Arzt Dr. Laing (Tom Hiddleston) lernt die junge Helen (Elisabeth Moss) kennen. etablieren – und irgendwie scheinen das alle zu wollen, denn niemand ruft Feuerwehr oder Polizei herbei.

Womit ein wesentlich­er Knackpunkt ins Spiel kommt, der sowohl im Buch als auch nun im Film unerklärt und damit reine Behauptung bleibt, die man schlucken muss, wenn der Spaß an dieser Satire nicht auf den Seventies-RetroLook beschränkt bleiben soll. Tatsächlic­h müht sich die Regie redlich um Dekadenz in Nylon und Polyester, es wird enorm viel geraucht, die Männer tragen Koteletten und die Frauen keinen Büstenhalt­er.

Es ist Kino der Oberfläche­npolitur, weder subversiv wie einst „Themroc“(1973) noch effekthasc­herisch wie „Rollerball“(1975). „High Rise“ist eine Science Fiction-Extravagan­z für Arthouse-Gänger, die sich über Marvel und „Star Wars“erhaben fühlen.

GB/Bel 2015, 119 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Ben Wheatley; Buch: Amy Jump; Kamera: Laurie Rose; Musik: Clint Mansell; Darsteller: Tom Hiddleston, Jeremy Irons, Sienna Miller, Luke Evans, Elisabeth Moss, James Purefoy, Sienna Guillory, Peter Ferdinando.

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Foto: DCM

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