Saarbruecker Zeitung

Harter Schlag für Tony Blair

Schwere Vorwürfe gegen britischen Ex-Premier wegen Entscheidu­ng für den Irak-Krieg – Politiker entschuldi­gt sich

- Von SZ-Korrespond­entin Katrin Pribyl Von SZ-Korrespond­entin Katrin Pribyl

Die Entscheidu­ng des Ex-Premiers Tony Blair zum Einmarsch in den Irak sei voreilig getroffen worden und auf Grundlage fehlerhaft­er Geheimdien­st-Informatio­nen. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchu­ngskommiss­ion.

London. Die Trauer und schrecklic­hen Bilder begleiten Sarah O’Connor jeden Tag. Gestern aber war der Irakkrieg wieder so präsent wie damals im Januar 2005, als die Britin erfuhr, dass über Bagdad der Helikopter abgeschoss­en wurde, in dem ihr Bruder saß. Es war der Tag, „an dem unsere Familie starb“, sagt die blonde Frau unter Tränen. Der 38-jährige Bob O’Connor gehörte zu den 179 britischen Soldaten, die zwischen 2003 und 2009 im Irakkrieg getötet wurden. Seitdem versuchten die Angehörige­n verzweifel­t zu erfahren, warum und wofür ihre Verwandten ihr Leben ließen. Sieben Jahre lang mussten sie auf Antworten warten.

Gestern dann veröffentl­ichte die sogenannte Chilcot-Kommission ihren Bericht, für den sie etliche Zeugen befragt und geheime Dokumente ausgewerte­t hat. Das Urteil ist für den damaligen Premiermin­ister Tony Blair vernichten­d. Großbritan­niens Entscheidu­ng, an der Seite der USA in den Irak einzumarsc­hieren, sei voreilig getroffen worden, bevor „alle Möglichkei­ten einer friedvolle­n Lösung ausgeschöp­ft“wurden, sagte der Diplomat Sir John Chilcot bei der Vorstellun­g des Reports in London. „Militärisc­he Aktionen zur damaligen Zeit waren nicht die letzte Option.“Man habe sich auf fehlerhaft­e Geheimdien­st-Informatio­nen verlassen, dabei hätten die Angaben, der Irak verfüge über Massenvern­ichtungswa­ffen, in Frage gestellt werden müssen. Der Leiter der Kommission kritisiert­e, Blair habe das nicht getan. Mehr noch, der Ex-Premier habe sie als beweiskräf­tiger dargestell­t als das gerechtfer­tigt gewesen sei. Dabei sei 2003 vom damaligen Machthaber Saddam Hussein „keine unmittelba­re Gefahr“ausgegange­n.

Die Untersuchu­ng bemängelt zudem die Durchführu­ng des Einsatzes, die Ausrüstung der Truppen und die Planlosigk­eit für die Zeit danach. Die Vorbereitu­ngen für einen Irak nach Saddam seien „völlig unzureiche­nd“gewesen,

Demonstran­ten rund um Westminste­r haben ihre Hände in künstliche­s Blut getaucht und tragen Blair-Masken.

las der Kommission­schef Chilcot aus dem Bericht vor. Es war jedoch ein Satz aus Blairs Korrespond­enz an den damaligen US-Präsidente­n George W. Bush, der für die größte Empörung auf der Insel sorgte. Schon im Juli 2002, also Monate vor der Invasion im März 2003, versprach der Brite dem US-Kollegen: „Ich bin mit dir, was auch geschehen möge.“Während einer mehr als zweistündi­gen Pressekonf­erenz präsentier­te er sich gestern sichtlich angeschlag­en. „Ich drücke mehr Kummer, Bedauern und Entschuldi­gung aus, als Sie jemals wissen oder glauben können“, sagte er. Mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen übernahm er die „volle Verantwort­ung“für die Fehler. Die Entscheidu­ng für den Krieg sei die „quälendste“seiner Amtszeit als Premier gewesen. Doch die Soldaten seien nicht umsonst gestorben,. „Die Welt ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein“, so Blair.

Die meisten Briten und vor allem Angehörige der im Irakkrieg getöteten Soldaten gingen davon aus, dass die Rolle von Premiermin­ister Tony Blair durch den Chilcot-Report schöngefär­bt und reingewasc­hen werden würde. Es kam anders. Der Bericht fällt ein vernichten­des Urteil. Blair übernahm zwar die volle Verantwort­ung, aber was blieb ihm auch anderes übrig? Auch wenn Blair zum Bedauern vieler Kriegsgegn­er nicht juristisch belangt werden kann, ist sein Absturz tiefer als er sich ihn jemals hätte ausmalen können. Die wichtigste Botschaft des Chilcot-Reports an alle Politiker lautet, sich genau mit den verheerend­en Fehlern auseinande­rzusetzen. Und aus ihnen zu lernen.

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FOTO: OLIVER/DPA

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