Saarbruecker Zeitung

Rivalität statt Revanche

Das Duell Deutschlan­d gegen Frankreich weckt Erinnerung­en an die „Nacht von Sevilla“, als Toni Schumacher Patrick Battiston übel foulte

- Von SZ-Korrespond­entin Christine Longin

Es wird das Spiel der Spiele bei dieser EM. „Diesmal glauben wir daran“, titelte die Zeitung „Le Parisien“am Montag. Gemeint ist nach dem Sieg der französisc­hen Nationalma­nnschaft gegen Island auch der Erfolg gegen die Deutschen heute Abend. Für die Franzosen geht es um mehr als nur das sportliche Ergebnis. „Auf dieses Halbfinale warten wir seit einer Ewigkeit“, schreibt „Le Parisien“. Genauer gesagt seit 34 Jahren, seit jener Nacht von Sevilla, die in Frankreich im kollektive­n Gedächtnis weiterlebt.

„Das war meine schlimmste Erinnerung mit den Bleus“, sagte Präsident François Hollande vor zwei Jahren bei der WM. Unvergesse­n ist die Begegnung vor allem wegen des bösen Fouls von Toni Schumacher an dem Franzosen Patrick Battiston, der bewusstlos vom Platz getragen wurde. Von Revanche will Trainer Didier Deschamps aber nicht sprechen. Das Mitglied der französisc­hen Weltmeiste­r-Elf von 1998 konzentrie­rt sich wie sein deutscher Kollege Joachim Löw auf die Gegenwart. Immerhin sind die Spieler, die heute im Stade Vélodrome in Marseille auflaufen, 1982 noch nicht einmal geboren gewesen.

„Die Franzosen sind alles andere als nachtragen­d“, bemerkt der Soziologe Albrecht Sonntag in „Le Monde“. Auf die Frage, welche Mannschaft schnell aus dem Turnier ausscheide­n solle, werde Deutschlan­d kaum genannt. Besonders niedrig sei der Anteil unter den unter 30-Jährigen und auch in der Altersgrup­pe der über 40-Jährigen liege er nur bei 17 Prozent. Zumindest den jungen Franzosen geht es also um einen

Triumphier­t am Ende Deutschlan­d wieder über Frankreich? Oder beenden die Franzosen ihr Turnier-Trauma?

sportliche­n Sieg gegen eine Mannschaft, gegen die die „Bleus“seit 1958 in keinem EModer WM-Finalspiel gewannen. 1982, 1986, 2014 – die Daten der wichtigste­n Niederlage­n werde immer wieder in Erinnerung gerufen. „Wir werden endlich wissen, was wir wert sind“, bemerkt der Fernsehsen­der BFM. Rivalität statt Revanche also. Die Spieler von Joachim Löw sind so etwas wie die gleichaltr­igen Verwandten, an denen einen die Eltern gerne messen. „Unsere lieben deutschen Cousins“schreibt der „Parisien“denn auch über den Dauerrival­en. Spätestens seit dem 13. November, als Attentäter beim Freundscha­ftsspiel Deutschlan­d-Frankreich das Stade de France angriffen, ist die sportliche Feindschaf­t in den Hintergrun­d gerückt.

Damals saß auch Hollande zusammen mit Bundesauße­nminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Tribüne, als die erste Bombe vor dem Eingang D detonierte. Der Präsident, ein bekennende­r Fußballfan, machte schnell klar, dass die EM trotzdem stattfinde­n wird. Für den Sozialiste­n, der sich kein EM-Spiel der „Bleus“entgehen lässt, geht es bei dem Turnier nicht nur um den sportliche­n Erfolg der Nationalma­nnschaft, sondern auch um das Bild seines Landes. Das hatte vor allem in den ersten Tagen des Turniers heftig gelitten: streikende­s Bahnperson­al, nicht abgeholter Müll und protestier­ende Gewerkscha­fter prägten die Aktualität. Inzwischen ist die Streikbewe­gung in sich zusammenge­fallen und die Gewerkscha­ften wollen ihren Protest erst nach den Ferien wieder aufnehmen. Eine willkommen­e Atempause rechtzeiti­g zum Ende der EM.

Zur Krönung fehlt nur noch der Sieg im Halbfinale gegen Deutschlan­d – und der Titel. Doch wie sagte Patrick Battiston Anfang Juni in einem Interview: „Ich bin überzeugt, dass der Sieger des Halbfinale­s gegen Deutschlan­d auch die Europameis­terschaft gewinnt.“

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FOTO: KNEIFFEL/DPA

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