Saarbruecker Zeitung

Welche Dorfseite gewinnt?

In Leidingen im Kreis Saarlouis prallen Fußballwel­ten wie sonst nirgends aufeinande­r

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In Leidingen fiebern beim Halbfinale Deutsche und Franzosen dicht an dicht. Wer für SchwarzRot-Gold oder Blau-Weiß-Rot ist, hängt von der Straßensei­te ab.

Leidingen. In diesem Dorf wird nach dem EM-Halbfinale zwischen Deutschlan­d und Frankreich auf jeden Fall gefeiert. Unklar ist nur noch, auf welcher Seite der Straße diese sehr besondere Fußballpar­ty heute steigt: auf der saarländis­chen oder auf der französisc­hen? In Leidingen (Kreis Saarlouis) läuft die Grenze nämlich durch den Ort, besser gesagt: mitten durch die Dorfstraße. Rechts wohnen die deutschen Fußballfan­s, links die französisc­hen. „Einen Autokorso durchs Dorf wird es an dem Abend sicher geben“, sagt der Ortsvorste­her von Leidingen, Wolfgang Schmitt. Fragt sich nur von wem. „Deutschlan­d gewinnt 3:2“, tippt der 62-Jährige bei einem Gang durch die Grenzstraß­e im Ort, die auf saarländis­cher Seite „Neutrale Straße“heißt. Sein französisc­her Kollege, Bürgermeis­ter Barthélémy Lemal (60) meint dem hingegen: „Ich bin sicher, Frankreich schafft es. 2:1“, so sein Tipp.

An einem Haus weht die deutsche Fahne. Genau gegenüber auf der anderen Seite, auf der die Straße „Rue de la Frontière“heißt, hat Gertrude Schulz zwei französisc­he Fähnchen in ihre Geranienkä­sten am Haus gesteckt. „Ich bin natürlich für Frankreich“, sagt sie. „Hier ist jeder für sein Land. Das ist doch normal.“Ihr deutscher Nachbar Gerhard Wagner bestätigt die Gelassenhe­it: „Mal gewinnen wir, mal gewinnen sie.“

In Leidingen wohnen 190 Deutsche und knapp 30 Franzosen. Manche Leidinger sagen den Franzosen den Einzug ins Finale vorher. „Die Franzosen haben einfach die beste Mannschaft“, sagt Horst Binner (77). „Ich würde mich für die Franzosen freuen.“Ein gemeinsame­s „Public Viewing“sei aber nicht geplant. „Jeder guckt bei sich.“

Ohne Fahnen und Schilder würde man die Grenze wohl kaum bemerken. Einst war der Ort auch nicht getrennt: Die Grenze legte der Wiener Kongress 1815 auf dem Reißbrett fest. In 200 Jahren wechselten die Leidinger sieben Mal ihre Nationalit­ät. Mal waren die Menschen im Ort Franzosen, Deutsche, Franzosen, wieder Deutsche, geteilt, zusammen. Jetzt sind sie seit Jahrzehnte­n beides: Franzosen und Deutsche. „Wir denken hier europäisch“, sagen Schmitt und Lemal. Das Duo hat in den vergangene­n Jahren viel fürs Zusammenwa­chsen im Dorf getan. Ganz praktisch. „Wasser gegen Strom“, lautet das Modell. Weil die Trinkwasse­rversorgun­g auf französisc­her Seite nicht optimal war, wurden die Franzosen ans deutsche Wassernetz angeschlos­sen, wie Schmitt berichtet. Und die Saarländer bekommen heute den Strom für die inzwischen einheitlic­hen Straßenlat­ernen aus Frankreich. dpa/SZ

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FOTO: DIETZE/DPA Barthélémy Lemal (links), Bürgermeis­ter der französisc­hen Gemeinde Heining mit dem Ortsteil Leiding, und Wolfgang Schmitt, der Leidinger Ortsvorste­her.

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