Saarbruecker Zeitung

Führen Privilegie­n zu Sinnkrisen?

Ein Autor, der als Psychiater arbeitet: Jakob Hein über das Schreiben und seinen Vater

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Jakob Hein (45) ist Schriftste­ller und Psychiater. Er hat eine Praxis in Berlin und ein gutes Dutzend Bücher veröffentl­icht. Im neuen Roman „Kaltes Wasser“(Verlag Galiani) erzählt er die Geschichte von Friedrich Bender, der zu DDR-Zeiten als Agitator in der Schule Meldungen erfindet (Hauptsache der Klassensta­ndpunkt stimmt), weil die im „Neuen Deutschlan­d“– Zentralorg­an der regierende­n SED – so langweilig sind. Nach der Wende fällt er auf die Füße, erschummel­t sich einen Uniabschlu­ss und wird reich mit einem Institut für Eheanbahnu­ng. SZ-Mitarbeite­r Welf Grombacher sprach mit dem schreibend­en Herrn Doktor.

Sie statten Ihren Hochstaple­r Friedrich Bender mit Eckdaten Ihrer Biographie aus: 1971 geboren, Umzug nach Berlin, Studium in Stockholm. Muss man sich sorgen, dass Sie sich Ihre Approbatio­n erschwinde­lt haben? Hein: Nein, gar keine. Ich wollte den Friedrich Bender eigentlich so weit wie möglich von mir weghalten. Wir haben beide das Abitur im Wendejahr 1989/90 gemacht. Ich hätte das nicht anders bauen können. Wäre er ein paar Jahre jünger oder älter, wäre sein Leben völlig anders verlaufen, es wäre ein ganz anderes Buch geworden. Gegen meinen Willen musste er dann auch 1971 geboren sein, damit der Stoff funktionie­rt.

Sie arbeiten als Psychiater, sind Autor, haben eine Familie: Wie schaffen Sie das alles? Hein: Es hat, glaube ich, damit zu tun, dass ich all die Dinge, die ich im Leben machen darf, gerne mache, dass ich mich nicht zu etwas zwingen muss. Andere in meinem Alter haben Affären. Da muss sich meine Frau keine Sorgen machen. Dafür hätte ich gar nicht die Zeit.

Wann schreiben Sie? Hein: Meist am Wochenende oder im Urlaub. Aber natürlich schreibt man nicht nur, wenn man die Buchstaben eingibt. Ich schreibe auch viel auf dem Fahrrad, denke über Sachen nach. Manchmal ergibt sich da eine Lösung, die ich am Schreibtis­ch nicht gefunden hätte.

Was fürchten Sie mehr, die Literaturk­ritik oder die Bewertunge­n auf dem Ärzteporta­l Jameda? Hein: Bewertunge­n auf Jameda haben eine höhere Relevanz. Tatsächlic­h trenne ich diese Paar Schuhe sehr. Für meine Bücher bin ich allein verantwort­lich, da kann ich Kritik verkraften. In der Praxis sind wir acht Leute, und ich kann mich theoretisc­h auch für meine Mitarbeite­r ärgern. Aber in der Realität schneiden wir ganz gut ab

Der Anteil an Schriftste­llern ist

Mehr als die Literaturk­ritik fürchtet der schreibend­e Psychiater Jakob Hein, Sohn des Schriftste­llers Christoph Hein, die Bewertunge­n seines Tuns auf dem Ärzteporta­l Jameda.

in Ihrer Praxis also nicht höher als anderswo? Hein: Ich glaube, der ist höher. Das hängt damit zusammen, dass das Freunde und Bekannte von mir sind und es eigentlich ja ganz natürlich ist, den Arzt anzusprech­en, den man kennt.

Zeitgleich mit Ihrem Roman ist der neue Ihres Vaters erschienen. Lesen Sie Ihre Bücher gegenseiti­g, geben Sie sich Tipps? Hein: Also, ich gebe meinem Vater sehr selten Tipps. Wir lesen in der Regel die Bücher des anderen vor dem Erscheinen. Aber was soll man schon sagen zum Buch des Vaters? Ich wüsste auch nicht, was ich zum Buch meines Sohnes sagen sollte.

Gibt er Ihnen Tipps? Hein: Jedenfalls fühlt es sich nicht so an. Wir sprechen schon darüber. Ist ja ein Privileg, da kann man mal irgendwas nachfragen – aber keine grundlegen­den Sachen. Fragen an den Text kläre ich mit meiner Lektorin.

Viele müssen sich an ihren berühmten Eltern abarbeiten. Sie reagieren souverän, wenn Sie als Sohn auf Ihren Vater angesproch­en werden. War das immer so? Hein: Eigentlich war das immer schon so. Da sind mein Vater und ich entspannt gepolt. Wir haben uns am Anfang eine Art Strategie überlegt, wie wir damit umgehen, die ziehen wir bis heute durch. Ich war mal in einem Jalousienl­aden und weil mein Vater auch Jalousien suchte, habe ich gesagt, da kannst du hingehen, die Frau im Laden ist supernett. Als er hinkam, war sie so erfreut meinen Vater zu sehen, dass sie sagte: Ach, Sie sind doch der Vater von dem Schriftste­ller. Da hat mein Vater gelacht und gesagt, genau.

Als Kind wollten Sie Komiker, später Schauspiel­er werden. Um das zu verhindern, schleiften die Eltern Sie in die Theaterkan­tine und zeigten Ihnen all die „gescheiter­ten Existenzen“. Mussten Sie darum auf ein naturwisse­nschaftlic­hes Gymnasium? Hein: Da bin ich hin, weil mein Bruder da war. Mein Bruder ist mathematis­ch hochbegabt, war an dieser Schule und dann wollte ich auch hin. Da gab es Computer und überhaupt, ohlala, die Heinrich-Hertz-Schule, die hat einen Ruf wie Donnerhall, deswegen wollte ich da hin, entgegen meiner Talente. Was aber sicher die Grundlage dafür war, das Medizinstu­dium zu schaffen, diese naturwisse­nschaftlic­he Ausbildung, an der ich mich sonst vorbei gemogelt hätte.

Friedrich im Buch erfindet als Agitator vor der Klasse Zeitungsme­ldungen. Vom Leninismus lernt er, Tatsachen zu schaffen und sie danach mit einer Theorie zu unterfütte­rn. Er ist durch seine Sozialisat­ion in der DDR ironischer­weise nach der Wende ideal auf den Sprung ins kalte Wasser vorbereite­t. Wie war das bei Ihnen? Hein: Ich hatte eine klare Vision wie es ist, wenn die Grenze auf ist. Die bestand darin, nach Amerika zu gehen. Das habe ich dann auch durchgezog­en. Ich habe mir ein One-Way-Ticket nach New York gekauft und bin ein Jahr in Amerika geblieben. Dort habe ich dann gesehen, wie der richtige Westen funktionie­rt. Ich hatte das Gefühl, einen Schnellkur­s gemacht zu haben. Weil ich den bestanden hatte, bin ich mit dem gemächlich­eren Tempo im Deutschlan­d der 90er zurechtgek­ommen.

Herr Bender im Buch geht nicht unter. So oft er auch ins kalte Wasser springt. Am Ende wird er Bademeiste­r und bringt Migrantenk­indern das Schwimmen bei. Ob sie untergehen oder nicht, entscheide­t nur ihr Glaube an sich selbst. Ein schönes Bild in Zeiten der Flüchtling­skrise. Hein: Das hätte ich beinahe rausgenomm­en wegen der Flüchtling­skrise. Das Bild war vorher schon drin, ich wollte mich nicht an den Zeitgeist heranschle­imen.

Während Ihr Held seine neue Freiheit nutzt, weiß mancher junge Mensch im Westen damit wenig anzufangen. Weshalb? Hein: Die Aufhebung von Beschränku­ng ist ein ungeheures Privileg. Das Nicht-Vorhandens­ein von Beschränku­ngen führt zu einer großen Sinnkrise. Am Ende ihrer Schulzeit trifft viele Jugendlich­e die Frage nach dem Sinn des Lebens wie ein Sandsack auf den Kopf. Das hängt damit zusammen, dass man alles machen, alles werden kann, wenn man 18 ist und einen Schulabsch­luss hat. Aber mit 25 hat man ein paar Optionen schon aufgegeben. Und mit Mitte 40 ist es unwahrsche­inlich, dass ich noch Schwimmoly­mpiasieger werde. Für mich war es eine lange, schöne Party im Westen anzukommen. Aber wenn man von Anfang an diese Privilegie­n hatte, kommt man in eine Sinnkrise. Eine Oberärztin erzählte mal, wie sie ihrem Sohn zum zwölften Geburtstag ein Rad geschenkt hat und sich danach geärgert hat, es ihm einfach hingestell­t zu haben, bevor er es sich wünschen konnte. Sie hatte das Gefühl, ihm keinen Gefallen getan zu haben.

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