Kriegszone Dallas
Heckenschütze nimmt in der texanischen Metropole Rache an verhassten Cops: Fünf tote Polizeibeamte
Das Handy-Video eines Augenzeugen, von einem Hotelzimmer in der Innenstadt von Dallas aufgenommen, zeigt die brutalen Details des Mordes an einem Polizisten. Der Cop hat sich einem Mann genähert, der zuvor mit einem Sturmgewehr das Feuer auf andere Polizisten eröffnet hatte. Der Beamte hat hinter einem Pfeiler Schutz gesucht, doch der durch einen anderen Pfeiler geschützte Täter geht perfide vor: Er täuscht eine Bewegung nach links an, nähert sich dann von rechts und von hinten – und feuert dem Cop immer wieder in den Rücken und die Seite. Dort, wo die schussichere Weste ihn nicht schützt.
Der Beamte ist einer der fünf Polizisten, die in dieser Nacht in der texanischen Metropole ihr Leben verlieren. Sieben werden teilweise lebensgefährlich verletzt. Zwei Zivilisten tragen leichtere Wunden davon. Es ist der größte Verlust an Leben für die US-Sicherheitsbehörden seit dem 11. September 2001 – während eines langen Feuergefechts, das das Zentrum von Dallas in eine kleine Kriegszone verwandelte. Das Drama hatte gegen 21 Uhr begonnen – zum Ende einer friedlich verlaufenen Demonstration, bei der Hunderte von Bürgern aller Herkunft und Hautfarben wie in anderen Großstädten gegen die umstrittene Tötung von zwei Schwarzen durch weiße Polizisten in den Bundesstaaten Louisiana und Minnesota protestiert hatten. Videos dieser Vorfälle hatten zuvor die Nachrichtenlage dominiert – vor allem die erschütternden Aufnahmen einer jungen Frau, die ihren sterbenden Verlobten auf dem Fahrersitz zeigten, während ein völlig aufgelöster Cop weiter die Waffe auf die beiden richtet.
Als in Dallas die ersten Schüsse unweit der Stelle fallen, wo einst John F. Kennedy ermordet worden war, gibt es dramatische Szenen. Demonstranten, die einen Kinderwagen aus der Gefahrenzone tragen. Cops, die getroffene Beamte hinter Streifenwagen ziehen und zurückfeuern. Nicht enden wollende Schüsse aus hochkalibrigen Gewehren. Viele der zunächst verbreiteten Informationen erweisen sich im Lauf der hektischen Nacht als falsch. Es gibt nur einen und nicht wie zunächst angenommen drei oder vier Heckenschützen, wie Polizeichef David Brown am Morgen bestätigt. Der Täter, der sich zuletzt in einem Gebäude verschanzt und mit einem KrisenSpezialisten gesprochen hatte, tötete sich nicht selbst. Das SWAT-Team (SEK) schickte vielmehr einen Roboter mit einem Sprengsatz in die Nähe des Todesschützen und führte eine gezielte Explosion aus. „Es war der sicherste Weg für uns,“so Brown,
MEINUNG „wir wollten nicht noch mehr Leben gefährden.“
Zuvor war es dem Polizeipsychologen vor Ort gelungen, wichtige Informationen vom bisher nicht identifizierten Täter zu sammeln: Er gab an, allein und nicht im Auftrag einer Gruppe zu handeln. Er sagte, er wolle vor allem weiße Polizisten töten, weil er über die Vorfälle in Louisiana und Minnesota empört sei. Er behaupete auch, Bomben in dem Gebäude platziert zu haben – was sich dann als unwahr herausstellte. Bei der Suche nach Verdächtigen nach den ersten Schüssen kam noch erschwerend hinzu, dass in Dallas seit Jahresbeginn das offene Tragen von Schusswaffen völlig legal ist. So gerät unter anderem ein Farbiger ins Fahndungs-Visier, der mit einem Schnellfeuergewehr die Demonstration begleitet hat – aber, wie es sich später herausstellt, mit dem Attentat nichts zu tun hat.
US-Präsident Barack Obama, der zuvor die Tötung von zwei Schwarzen durch weiße Polizisten in den Bundesstaaten Louisiana und Minnesota als „viel zu häufiges Vorkommnis“beklagt hatte, verurteilte das Attentat gestern auf einer in Polen beim Nato-Gipfel abgehaltenen Pressekonferenz als „bösartig“. Es gebe „keine denkbare Rechtfertigung“für diese Gewalttat, so der Präsident. Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sagt einen gemeinsamen Auftritt mit Virepräsident Joe Biden ab. Die nächtlichen Attentate haben auch die politische Szene erschüttert.