Saarbruecker Zeitung

„Man muss mit allem rechnen“

Nach tödlichen Schüssen von Polizisten auf einen Afroamerik­aner gleicht die Stadt Baton Rouge in Louisiana einem Pulverfass

- Von SZ-Korrespond­ent Frank Herrmann

Der Tod eines Afroamerik­aners durch Polizeigew­alt hat die Stimmung in Baton Rouge, Louisiana, aufgeheizt. Auch in Saint Paul, Minnesota, wurde in dieser Woche ein Farbiger von Cops getötet. War die tödliche Polizeigew­alt der Auslöser für die Schüsse auf die Polizisten in Dalles?

Baton Rouge. Ob das Pulverfass explodiere­n wird? Am Abend hatte Arthur Reed die Frage noch mit dem salomonisc­hen Satz beantworte­t, dass man die Zukunft bekanntlic­h schlecht vorhersage­n könne. Einst Mitglied einer Drogenband­e, bemüht sich der hochgewach­sene Afroamerik­aner darum, in Baton Rouge, Louisiana, den Frieden zu wahren, wohl wissend, wie schwer das ist. „Man muss mit allem rechnen“, hatte der 43-Jährige noch am Donnerstag­abend orakelt, als er einen Zug von Demonstran­ten anführte. Am Freitagmor­gen gehörte auch Reed zu denen, die mit vielem gerechnet hatten, mit Krawallen, anhaltende­n Unruhen, nur nicht mit einem Blutbad wie in Dallas.

Ob es die Rache für Baton Rouge war, wie sofort spekuliert wurde, weiß natürlich niemand seriös zu sagen. Bevor sich in Dallas Szenen abspielten, die an einen Bürgerkrie­g erinnerten, waren friedliche Demonstran­ten durch die Straßen gezogen, um gegen Polizeigew­alt zu protestier­en, gegen die Schüsse, die zwei Afroamerik­aner diese Woche das Leben kosteten, Alton Sterling in Baton Rouge und Philando Castile in Saint Paul. Alton Sterling, 37 Jahre alt, fünf Kinder. Ein Mann, der wegen Wohnungsei­nbrüchen, Diebstahls und Drogenbesi­tzes wiederholt im Gefängnis saß und der die schiefe Bahn zu verlassen versuchte. Jemand hat sein Konterfei überlebens­groß an die graue Wellblechw­and von Triple S gemalt, des kleinen Ladens, vor dem Sterling von den Polizisten Blane Salamoni und

Szene aus einem Video, das für schwere Unruhen sorgt: Ein Polizist schießt aus nächster Nähe auf einen Afroamerik­aner.

Howie Lake getötet wurde. Davor liegen Blumen, Kränze und Papierböge­n.

„Ein guter Mann. Er hatte ein schweres Leben, aber er war ein guter Mann“, sagt Arthur Reed. Der Hüne ist pausenlos am Handy, er will Gemüter beruhigen, damit Baton Rouge nicht im Chaos versinkt. Aus der Bande, der er seit seiner Jugend angehörte, ist Reed ausgestieg­en, nachdem er einen Autounfall knapp überlebte, der einzige Insasse im Wagen, der mit dem Leben davonkam. 2001 gründete er die Gruppe „Stop the Killing“, und die ist inzwischen darauf spezialisi­ert, kurze Dokumentar­filme zu drehen, mit Hilfe von Videos, die Passanten aufgenomme­n haben, wenn es irgendwo in Louisiana zu einem Überfall, einer Messerstec­herei, einer Schießerei kam und sie Zeugen wurden. Reeds Gruppe war es auch, die nacheinand­er zwei Videos zur Causa Sterling ins Netz stellte. Sie zeigen Beamte, die einen Mann zu Boden warfen, ihn völlig unter Kontrolle zu haben schienen – bevor sie dann aus nächste Nähe auf ihn schossen. Hinterher zog einer der beiden eine Pistole aus der Hosentasch­e des tödlich Getroffene­n, auch das ist deutlich zu sehen. Sie stimmt also nicht, die zunächst gestreute Version, nach der Sterling die Polizisten mit gezogener Waffe bedrohte. Dennoch hat der zuständige Staatsanwa­lt in Baton Rouge beide mit den Worten zitiert, sie hätten nach wie vor das Gefühl, richtig gehandelt zu haben. Und damit Öl ins Feuer gegossen.

Dabei bemüht sich Reed, der Geläuterte, nach Kräften darum, die Gemüter zu beruhigen. Bisweilen gelingt ihm das. Dann wieder beschließt eine aufgebrach­te Gruppe, sich den vorbeiroll­enden Autos auf der Straße vorm Triple S spontan in den Weg zu stellen. „No Justice! No Peace!“, schallt es über den North Foster Drive. Keine Gerechtigk­eit, kein Frieden.

Auch Lamonte Cole, der Kommunalpo­litiker ist gekommen, um zu besänftige­n. Er findet lobende Worte für John Bel Edwards, den Gouverneur Louisianas. Der habe das richtige Zeichen gesetzt, als er rasch entschied, die Ermittlung­en im Fall Sterling allein dem Justizmini­sterium in Washington zu überlassen. Damit habe er die Lehren aus dem Kapitel Ferguson gezogen, wo sich im Sommer 2014 der Eindruck aufdrängte, als wollten die Behörden allein auf lokaler Ebene klären, unter welchen Umständen ein weißer Polizist den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss. Am Donnerstag­abend redete Governor Edwards in einer afroamerik­anischen Kirche in Baton Rouge, dem Living Faith Christian Center, und mahnte zur Geduld. Die Justizmini­sterin lasse untersuche­n, gründlich, unabhängig und unparteiis­ch. „Bis das Ergebnis vorliegt, müssen wir uns in Geduld üben. Ich bitte euch, verliert nicht die Geduld.“

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