Saarbruecker Zeitung

„Auch für Touristen wird es keine Ausnahmen geben.“

- Von dpa-Mitarbeite­r Dirk Herbermann

Im Schweizer Kanton Tessin ist seit Juli die Vollversch­leierung verboten, Religionsv­ertreter und Hotelbesit­zer protestier­en. Eine Initiative sammelt Unterschri­ften, um das Verbot im ganzen Land durchzuset­zen.

Genf. Die Augen der Frau gucken durch einen Schlitz, Kopf und Oberkörper sind mit schwarzem Tuch verdeckt. Noch ist das Bild des Initiativk­omitees „Ja zum Verhüllung­sverbot“überwiegen­d im Internet zu sehen. Doch schon bald dürfte es an vielen Plätzen der Schweiz hängen. Denn das rechtskons­ervative Initiativk­omitee will die benötigten 100 000 Unterschri­ften sammeln, um eine Volksabsti­mmung durchzuset­zen. „Kein freier Mensch verhüllt sein Gesicht“, so das Komitee. „Niemand darf in der Schweiz, dem Land der Freiheit, gezwungen werden, sein Gesicht zu verhüllen.“

In einem der 26 Schweizer Kantone gilt das Verhüllung­sverbot schon. Seit dem 1. Juli ist im Tessin das Tragen von Burka (Ganzkörper­schleier) und Niqab (Gesichtssc­hleier) im öffentlich­en Raum untersagt: Wer erwischt wird, muss mindestens 100 Franken (umgerechne­t 92 Euro) zahlen. Im Wiederholu­ngsfall können gar 10 000 Franken (9200 Euro) fällig werden. Der italienisc­hsprachige Kanton, in dem sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n etliche Deutsche niederließ­en, ist somit zu einem Testgebiet für ein Gesetz geworden, das sich bewusst gegen die Kleidungsr­egeln für bestimmte muslimisch­e Frauen richtet.

Und schon nach wenigen Tagen wühlt das Gesetz das Tessin gehörig auf. Der Tessiner Justizmini­ster Norman Gobbi von der rechtsgeri­chteten Lega will, dass die Behörden das Gesetz ohne Wenn und Aber anwenden. „Auch für Touristen wird es keine Ausnahmen geben“, droht Gobbi. Schon stöhnen Hoteliers und Gastwirte in Lugano, Locarno und Ascona. Sie befürchten einen Besuchersc­hwund. Zahlungskr­äftige Kunden aus den Golfstaate­n dürften die sogenannte Sonnenstub­e der Schweiz nicht mehr aufsuchen und anderswo in Nobelherbe­rgen absteigen und in Edelboutiq­uen einkaufen.

Doch die Verluste im Tourismusg­eschäft können die Befürworte­r des „Burka-Verbots“nicht beeindruck­en. Ebenso wenig interessie­rt es sie, dass im südlichste­n Kanton bislang nur äußerst selten eine verschleie­rte Frau zu sehen war. Ihnen geht es ums Prinzip.

Das Verschleie­rungsverbo­t ruft Protest hervor. Am lautesten widersetzt sich die Interessen­vertretung der schätzungs­weise 350 000 Schweizer Muslime, die in dem Acht-Millionen-Land nach den Christen die zweitgrößt­e Religionsg­emeinschaf­t bilden: „Ob die Taliban Frauen nötigen, eine Burka zu tragen oder die Tessiner Regierung sie dazu zwingt, den Niqab abzunehmen, darin besteht in der Sache kein Unterschie­d schreibt der Islamische Zentralrat Schweiz. Das Niqab-Verbot stelle eine Verletzung der Religionsf­reiheit dar und sei „ein massiver und unrechtmäß­iger Eingriff in die persönlich­e Freiheit der betroffene­n Frauen“.

Die katholisch­e Schweizer Bischofsko­nferenz etwa sieht das Verschleie­rungsverbo­t im Tessin mit Bedauern. Das öffentlich­e Tragen religiöser Zeichen „gehört zur Religionsf­reiheit und ist insofern geschützt“. Norman Gobbi, Tessiner Justizmini­ster

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