Saarbruecker Zeitung

Ohne Hund ist alles nur noch viel trostloser

Michel Houellebec­q stellt sich in Paris aus

- Von SZ-Mitarbeite­r Roland Mischke

Im Pariser Palais de Tokyo dokumentie­rt Frankreich­s streitbars­ter und vielleicht interessan­tester Schriftste­ller Michel Houellebec­q sein Leben und seine Sicht darauf. Den Schmerz über unsere menschlich­e Existenz fühlbar zu machen, ist sein Ziel.

Paris. „Il est temps de faire vos jeux“, diese doppeldeut­ige Begrüßung und dazu ein Foto, das einen dunklen Wolkenhimm­el über Paris zeigt, steht am Beginn von Michel Houellebec­qs Ausstellun­g im Pariser Palais de Tokyo, wo Frankreich­s streitbars­ter und vielleicht interessan­tester Schriftste­ller 21 Säle bespielt. In einer großen Selbstinsz­enierung, wenn man so will. Houellebec­q (60), berühmt durch Romane wie „Ausweitung der Kampfzone“(2000), „Elementart­eilchen“(2001) oder zuletzt „Unterwerfu­ng“(2015), zeigt Fotos, Installati­onen, Videound Tonaufnahm­en und allerlei Arbeitsgeg­enstände aus seinem Leben. Um Leben und Tod ginge es in der Schau, hat er bekannt. Um „Kraftfelde­r“, die unser aller Leben beeinfluss­en.

Weitgehend hat er die Ausstellun­g selbst kuratiert. Er hat verlangt, dass überall Besucherst­ühle stehen. Man wird am Eingang von einem Schild gewarnt, der Eintritt geschehe auf eigene Gefahr. Houellebec­q spielt am eigenen Beispiel Lebenssitu­ationen durch; sein ganzes Werk befasst sich mit dem Leiden der Welt, dem jeder auf persönlich­e Weise zu begegnen habe. Dazu wolle er die Menschen bringen, hat er verkündet: Der Schmerz über die persönlich­e Existenz solle spürbar werden.

So auch in dem Raum, der seinem Hund gewidmet ist. Elf Jahre haben Mensch und Tier zusammenge­lebt. Clément starb für ihn zu früh, er sei für ihn wie ein Kind gewesen, so Houellebec­q. Neben Fotos und Zeichnunge­n sind auch die Bilder seiner damaligen Lebensgefä­hrtin Marie-Pierre zu sehen, die ihn, wie andere Frauen auch, verlassen hat. Das gehört zu den deprimiere­nden Banalitäte­n des Lebens, um die es dem Selbstdars­teller geht. Er glaubt nicht an ein glückliche­s Dasein, sieht uns fortwähren­d flüchtigen Trugbilder­n folgen.

Um das zu belegen, hat der Künstler seinen Kopf durchleuch­ten lassen, „Einblick in mein Gehirn“nennt er das Bild. Ein kantiger Schädel, die Wangen ausgebeult, die Nase mit ihren Kanälen, zwei unterschie­dlich glühende Augen und unter der Schädeldec­ke der Wust an Gehirnbahn­en. Houellebec­q hat sich gründlich durchcheck­en lassen, seine Ärzte stellten, abgesehen von einem erhöhten Cholesteri­nspiegel, keine Auffälligk­eiten fest. Selbst die Röntgenauf­nahme seiner Lunge zeigt ein gesundes Organ, doch wollte er das Bild nicht präsentier­en.

Der Rest sind Impression­en. Houellebec­q ist mit seiner Kamera durch Frankreich gereist, war in Lokalen, Casinos, in grusligen Vorstädten und in Calais, von wo der Zug unter dem Ärmelkanal nach London führt. Aber es gibt keine Flüchtling­e zu sehen, die versuchen, auf dem Schienenwe­g nach England zu gelangen. Fotos zeigen das Elend am zerbröseln­den Baumateria­l, am Verfall, der Öde der Grenze. Menschen interessie­ren Houellebec­q bekanntlic­h weniger.

Er wolle den Zerfall der Kultur dokumentie­ren, hat er erklärt, den Unsinn der „europäisch­en Expertokra­tie“mit ihrer Festung Brüssel. Er glaube nicht an die Existenz eines kulturelle­n Europas, schon Frankreich und Deutschlan­d seien außerorden­tlich unterschie­dlich, lässt er uns wissen. Jedes Bild, jeder Gegenstand ist mit einer Zeile oder einem Vers aus seinen Gedichten als Fußnote versehen. Monsieur will zeigen, dass bei ihm Sinnzusamm­enhänge immer schon da waren, dass er den jeweiligen Zeitgeist richtig erkannt hat, dass seine Poesie immer auch ein Schmerzens­schrei ist.

Bis 11. September täglich von 12 Uhr bis 1 Uhr nachts.

 ?? FOTO: MIGUEL MEDINA/AFP ?? Ärzte attestiert­en Michel Houellebec­q gerade, dass er kerngesund ist . Merke: Ausdruck, Teint und Frisur sind kein Fall für den Mediziner.
FOTO: MIGUEL MEDINA/AFP Ärzte attestiert­en Michel Houellebec­q gerade, dass er kerngesund ist . Merke: Ausdruck, Teint und Frisur sind kein Fall für den Mediziner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany