„Das ist die denkbar schlechteste Lösung“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will heute ein Maßnahmepaket zum Anti-TerrorKampf vorstellen. Darin geht es auch um eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht, um mögliche Straftaten zu verhindern. Das lehnt Rudolf Henke, Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und CDU-Bundestagsabgeordneter, im Gespräch mit SZ-Korrespondent Stefan Vetter strikt ab.
Herr Henke, Ärzte als Terroristenjäger – was halten Sie von dieser Vorstellung? Henke: Reizvoll. Allerdings sind die Ärzte dafür gar nicht geschult. So wenig wie Polizisten etwas von medizinischer Behandlung verstehen, so wenig dürfen sich Ärzte dazu berufen fühlen, die Arbeit der Polizei zu übernehmen.
Die ärztliche Schweigepflicht hat aber auch heute schon Grenzen. Henke: Die Schweigepflicht ist für die Patienten da. Allerdings muss der Patient dulden, dass sie gesetzlich begrenzt werden kann. Für die Abrechnung werden Krankheitsdaten an die Krankenkasse übermittelt. Das ist schon eine Einschränkung der Schweigepflicht. Erfährt der Arzt von seinem Patienten etwas über mögliche Straftaten gegen das Leben, kann er sich auf einen rechtfertigenden Notstand berufen, der im Strafgesetzbuch geregelt ist, und die Behörden darüber informieren. Nach aller Erfahrung sind solche Fälle schon ausreichend geregelt.
Aber womöglich hätte sich die GermanwingsKatastrophe 2015 verhindern lassen, wäre die Suizidgefährdung des Copiloten bekannt geworden. Henke: Die Behörden hatten ja Kenntnis über eine depressive Veranlagung dieser Person. Aber man ist dem nicht nachgegangen. Mit der ärztlichen Schweigepflicht hat dieser Fall nach meiner Einschätzung nichts zu tun.
Das heißt, Sie sehen keinerlei Bedarf für weitere Lockerungen der ärztlichen Schweigepflicht? Henke: Es geht doch darum, was eine generelle Neuregelung bringen könnte. Sollen die Verkehrsbehörden automatisch die Fahrerlaubnis einkassieren, wenn der Arzt bei einem Patienten mit Führerschein schwere Depressionen diagnostiziert? Die Sicherheit wird dadurch nicht verbessert.
Warum? Henke: Weil es dann viel weniger Menschen geben wird, die sich wegen ihrer depressiven Störungen behandeln lassen. Schlimmer noch, wenn der Arzt bei jedem Verdacht die Polizei einschalten muss, dann gehen Gefährdete überhaupt nicht mehr hin. Und ich glaube nicht, dass die Welt dadurch sicherer wird. Unter den Flüchtlingen sind viele mit posttraumatischen Störungen wegen miterlebter Gewalt. Wollen wir diesen Menschen Angst machen, dass Ärzte oder Psychologen sie bei der Polizei melden? Was ist damit gewonnen? Das ist die denkbar schlechteste Lösung.
Werden Sie das auch dem Innenminister sagen? Henke: Ja. Natürlich kann man immer über neue Vorgehensweisen diskutieren. Aber Schnellschüsse sind fehl am Platz. Für jede Einschränkung der Schweigepflicht ist ein Gesetz nötig. Und das muss auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft sein.