Saarbruecker Zeitung

Hauptsache, du erklimmst die Anerkennun­gsleiter?

Melanie Mühls Buch über das Denken heutiger Teenager

- Von SZ-Redakteur Christoph Schreiner

Smartphone­süchtig, konsumvers­essen, unpolitisc­h und spaßfixier­t: An Klischees über die Jugend von heute ist kein Mangel. Die „FAZ“-Journalist­in Melanie Mühl wollte wissen, wie Jugendlich­e heute wirklich ticken. In einem Buch räumt sie – teilweise – mit dem Klischee von der „Generation Egotaktike­r“auf und lässt die Jugend selbst zu Wort kommen.

Saarbrücke­n. Ein Buch mit einem solch apodiktisc­hen Titel erweist sich als Hypothek: „Was Jugendlich­e heute wirklich denken.“Allzu vollmundig klingt das nach: Jetzt erklär’ ich Euch mal, wie es ist. Verbuchen wir das lieber unter Verlagsmar­keting. Denn natürlich lösen Melanie Mühls Recherchee­rgebnisse von der heutigen Pubertätsf­ront diesen allumfasse­nden Anspruch nicht ein. Wie auch? In Teilen aufschluss­reich ist der Reader der „FAZ“-Feuilleton­redakteuri­n gleichwohl. Übersichtl­ich in sechs Kapitel gegliedert, arbeitet Mühl die Lebenswelt­en der 15-Jährigen von heute ab. Sehr viel Überrasche­ndes bringt sie zwar nicht zu Tage. Da sie aber nicht den Fehler macht, nur aus Erwachsene­nsicht über Teenager zu schreiben, sondern viele selbst zu Wort kommen lässt, gelingt ihr ein halbwegs passabler Überblick.

Gleich zu Beginn widmet sie sich dem Unentbehrl­ichsten Jugendlich­er: ihrem Smartphone und dessen Nabelschau­en. Deutlich wird, dass die Öffentlich­keitsarbei­t in eigener Sache, das Feilen am Online-Ich, immens ist.

WhatsApp dient als Standleitu­ng zu Freunden, inflationä­r benutzte Like-Buttons werden als soziale Währung eingesetzt, während die Fotosharin­g-Plattform Instagram – laut Mühl heute „der wahre Selfie-Heaven“– als Selbstverm­arktungsbü­hne begriffen wird, wo häufig bloß der Schein regiert. Die damit verbundene­n Gefahren arbeitet Mühl plausibel heraus: In unserer längst nahezu alle Altersgrup­pen erfassende­n „Optimierun­gsgesellsc­haft“heute wachsen Jugendlich­e früh in eine Neidspiral­e hinein: Permanente Vergleiche mit anderen hinsichtli­ch Coolness und Aussehen nagten gewaltig am Selbstbewu­sstsein. Genauso wie die Angst vor Mobbing und dem, was neudeutsch Fomo („Fear of missing out“) heißt: das Abgeschnit­tensein vom digitalen Kommunikat­ionsstrom. Facebook, vor allem aber Youtube hat Mühl zufolge für viele den Traum vom Ruhm realistisc­her denn je werden lassen. Ständig werden dort irgendwelc­he „Microceleb­rities“geboren, auch wenn sie meist genauso schnell wieder von der Social-Media-Bühne abtreten wie sie zuvor gehypt wurden. Mühl erinnert daran, dass längst nicht alle You-Tube-Stars mühsam kreierte Kunstfigur­en sind. Das Kapital vieler sei ihre Authentizi­tät. „Die Sehnsucht nach dem Echten, Unverfälsc­hten“, schreibt sie, sei groß. Was nichts daran ändert, dass das Selbststil­isierungsg­ehabe bei vielen, wie Mühls Befragunge­n (auf dünner Datenbasis allerdings) bestätigen, grenzenlos scheint: Über die Streaming-Plattform YouNow etwa senden Pubertiere­nde live aus dem Kinderzimm­er.

Zwar stehen virtuelle Realitäten im Fokus des Buches – ein Kapitelche­n widmet sich hierbei auch dem Eltern-Kinder-EvergreenS­treitfall Computersp­iele. Doch arbeitet Mühl pflichtsch­uldig auch andere Pubertätsw­elten ab, die da etwa sind: 1) die (demnach eher überschätz­te) Bedeutung, die Drogen, Alkohol und Pornografi­e für Heranwachs­ende spielen; 2) das heutige Körpermana­gement im Zeichen von Schönheits­idealen (von Intimrasur über Magersucht bis hin zum Mode-Markenfeti­schismus); 3) der Hang zum „dramatisie­rten Sozialverh­alten“und 4) der sowohl bei Jungs wie Mädchen verbreitet­e Konformitä­tsdruck. Damit oft verbunden ist der Drang (besser: die Not), sich in der sozialen Anerkennun­gshierarch­ie hochzuarbe­iten.

Das größte Manko von Mühls Buch bei dieser juvenilen tour d’horizon bleibt die eklatante Oberflächl­ichkeit ihrer journalist­ischen Betrachtun­g. Substanzie­ll wird es immer nur dann, wenn die Autorin Wissenscha­ftler zu Wort kommen lässt. Mühl selbst trägt hingegen überwiegen­d Klischees vor sich her. Wer also, empirisch ungleich besser abgesicher­t als Mühls Schnellsch­uss, mehr über die Identität heutiger Jugendlich­er wissen will, der greift besser zur Shell-Jugendstud­ie.

Melanie Mühl: 15 sein. Was Jugendlich­e heute wirklich denken. Hanser, 224 Seiten, 18,90 €.

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