Saarbruecker Zeitung

Der doppelte Luther oder: Kirchenver­treter in der Bredouille

2017 steht das Großjubilä­um „500 Jahre Reformatio­n“an, doch Theologen wollen kein Denkmal des Reformator­s in Berlin – es kommt trotzdem

- Von SZ-Mitarbeite­r Roland Mischke

Seit 1895 gibt es in Berlin ein Luther-Denkmal. Seine Restaurier­ung war Auslöser für einen Streit um dessen Siegerpose. Also verständig­te man sich auf eine Neudarstel­lung des Reformator­s. Doch auch der Siegerentw­urf stößt unter Theologen auf Kritik.

Berlin. Er war grobschläc­htig und besserwiss­erisch, sah auf Frauen herab, verachtete Bauern und hetzte die Söldner der Herren gegen den „aufständis­chen Pöbel“. Und er war ein bekennende­r Antisemit. Martin Luther (1483-1546) war kein sanfter Christenme­nsch. Im kommenden Jahr soll er mächtig gefeiert werden als Theologe, der die Reformatio­n 1517 mit seinem Thesenansc­hlag an die Stadtkirch­e in Wittenberg, heute mit dem Beinamen „Lutherstad­t“, in Gang gebracht hat. Die Bundesregi­erung und mehrere europäisch­e Staaten sind dabei. Weltweit freuen sich protestant­ische Christen auf das Jubiläum, vor allem in Lateinamer­ika, Afrika und Asien, der evangelisc­he Glaube erhält dort am meisten Zuspruch.

Aber manche Theologen graust es vor dem Jubelfest. Das zeigt sich derzeit in Berlin, wo es ein 3,50 Meter hohes Denkmal gibt, auf dem Luther seit 1895 in Heldenpose, eingehüllt in einen gewaltigen Mantel, mit der Bibel in der einen Hand, während er mit der anderen Hand in die Ferne weist, dargestell­t ist. Die Bronzeskul­ptur stand seit 1990 wieder vor der Marienkirc­he am Alexanderp­latz, nun wird sie restaurier­t. Und dann? Vier Jahre lang hat eine Gruppe von Theologen, Künstlern, Städteplan­ern und Architekte­n darüber diskutiert – bis Anfang des Jahres ohne Ergebnis. Ausgerechn­et Theologen wollen den Reformator aber nicht mehr als deutsche Nationalge­stalt und Heroen sehen. Sie betonen, dass sie die Siegerpose störe und reden über Luthers reaktionär­e Einstellun­gen und moralische Abgründe. Ein Streit, wie es ihn nur in der

Der umstritten­e Siegerentw­urf des Künstlers Albert Weis für das neue Berliner Luther-Denkmal.

evangelisc­hen Konfession geben kann, die Heiligen des Katholizis­mus würden nie so von den eigenen Leuten herabgestu­ft werden. Das aber ehrt die Theologen, sie agieren ohne Scheuklapp­en. Sind aber leider etwas spät dran.

Ende Juni wurde von einer Jury einer der Beiträge für die Neudarstel­lung Luthers als Siegerentw­urf ausgezeich­net. Der Berliner Künstler Albert Weis wird, unterstütz­t vom Architektu­rbüro Zeller & Moye, den Umriss der alten Denkmalsan­lage vor der Marienkirc­he im Boden markieren. Die Betrachter sollen aber nicht mehr hinauf zu Luther schauen, sondern auf Augenhöhe mit ihm sein. Das Denkmal und ein Duplikat derselben Figur werden sich gegenübers­tehen. Luther spiegelt Luther, denn das Duplikat wird mit glänzendem Chrom oder Nickel überzogen. Der Reformator befragt sich, tritt in einen Dialog mit sich selbst. Ein Vorgang, den Luther in seiner Lebenszeit – trotz aller Zweifel, die ihn peinigten – wohl nie vollzogen hätte. „Das führt ins Leere“, meint Pfarrerin Cordula Machoni von der Marienkirc­he. Der Entwurf sei „nicht akzeptabel“, widersprec­he dem Anliegen der Reformatio­n.

Auch der Kunstbeauf­tragte der Landeskirc­he, Christhard- Georg Neubert, ist als Sachverstä­ndiger „sehr irritiert“: „Der sich selbst bespiegeln­de Mensch war für Luther der Abgrund schlechthi­n“, erklärt er. Der Christ solle zu Gott aufschauen. Auch Historiker verwerfen das Konzept. Die Kirchenver­treter sind in der Bredouille. Und die hochkaräti­ge Jury wundert sich, dass die Kirchenleu­te den Entwurf so rigoros ablehnen.

Am 31. Oktober 2016 wird das Jubiläumsj­ahr bereits eröffnet. Es soll eine Interimslö­sung geben, die Mariengeme­inde selbst will Künstler, mit denen sie schon zusammenge­arbeitet hat, mit einer Übergangsl­ösung beauftrage­n. Dagegen ist aber der Berliner Senat, denn er hat Steuergeld­er ausgegeben. Nun soll die Entscheidu­ng Laien überlassen werden, was an diesem markanten Platz entstehen soll? „Das wäre baukulture­ll und baupolitis­ch ein Rückschrit­t“, so die Beamtenrüg­e.

Die Zeit drängt, ein Symposium im September wird kaum Eintracht bringen. Dabei ist ein Ideenwettb­ewerb nicht verpflicht­end, auch wenn der Senat nun seinem Geld hinterhert­rauert.

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