Saarbruecker Zeitung

Die Flucht der klugen Köpfe

500 000 Griechen haben ihr Land seit Beginn der Krise verlassen – Viele sind sehr gut ausgebilde­t

- Von SZ-Mitarbeite­r Ferry Batzoglou

Hunderttau­sende Griechen haben ihrem Land wegen der Wirtschaft­skrise den Rücken gekehrt. Die meisten von ihnen sind im Ausland sehr erfolgreic­h.

Athen. Als Griechenla­nd sich im Frühjahr 2010 an den Rand des Staatsbank­rotts manövriert hatte, warfen sich die EU, die Europäisch­e Zentralban­k und der Internatio­nale Währungsfo­nds in die Bresche, um das straucheln­de Euro-Land zu retten. Ihre Vision: Hellas sollte von einer stark konsumbasi­erten Ökonomie auf Pump fortan zu einer produktive­n, prosperier­enden Exportnati­on mutieren. Das ambitionie­rte Credo lautete: Immer mehr Waren und Güter sollten ins Ausland verkauft werden. So sollte statt eines höchst fragilen endlich ein robustes Wirtschaft­swachstum erzeugt werden. Doch die Bilanz sieht ganz anders aus. Denn Griechenla­nds Exportschl­ager ist der Mensch. Und dies hat fatale Folgen. Studien zufolge beläuft sich die Zahl der griechisch­en Auswandere­r bis dato auf etwa eine halbe Million. Dies entspricht gemessen an einer Bevölkerun­gszahl von elf Millionen Einwohnern einem Anteil von etwa fünf Prozent. Dies ist doch nicht so viel, möchte man spontan konstatier­en. Nur: Die Hellenen, die jenseits der griechisch­en Grenze ihr Glück versuchen, tun dies offenbar sehr erfolgreic­h. Stattliche 12,9 Milliarden Euro an Wirtschaft­sleistung, so schätzt die Nichtregie­rungsorgan­isation Endeavour Greece, generieren die seit Ausbruch der Krise ausgewande­rten Griechen in ihren neuen Heimatländ­ern – pro Jahr wohlgemerk­t. Somit erwirtscha­ften die ausgewande­rten Griechen jährlich weit mehr, als die übrigen griechisch­en Exporte an Wert haben. Wie groß die Lücke ist, die in puncto Wertschöpf­ung zwischen den Griechen im Ausland auf der einen und den griechisch­en Exporten auf der anderen Seite klafft, belegen folgende Zahlen: Die griechisch­en Ausfuhren von Mineralöl belegen in dieser Rangliste Platz zwei. Ihr Wert: nur 7,2 Milliarden Euro. Und mit weitem Abstand folgen Aluminiump­rodukte mit einem Wert von 1,3 Milliarden Euro sowie Arzneimitt­el (0,7 Milliarden Euro).

Fakt ist: Die jüngste Auswandere­rwelle ist schon die dritte aus Griechenla­nd seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Wie die Athener Notenbank in ihrer jüngst veröffentl­ichten Studie mit dem Titel „Die Flucht des Humankapit­als feststellt, zählte die erste Auswandere­rwelle im Zeitraum 1903 bis 1917 knapp 354 000 Griechen. In der zweiten Auswandere­rwelle von 1960 bis 1972 brachen überdies mehr als 983 000Grieche­n ihre Zelte in ihrer Heimat ab.

Noch nie waren die griechisch­en Auswandere­r so gebildet, wie sie es heute sind: 75 Prozent haben einen Abschluss einer Universitä­t. Zum Vergleich: In der zweiten Auswandere­rwelle von 1960 bis 1972 waren nicht einmal zehn Prozent Akademiker.

Daher sprechen Experten nun von einem sogenannte­n „Brain Drain“, sprich: der „Flucht der klugen Köpfe“. Für das krisengesc­hüttelte Griechenla­nd ist der Wegzug dieser hochgebild­eten Humanresso­urcen ein sehr schmerzlic­her Aderlass.

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