Saarbruecker Zeitung

Ernte in 50 Metern Höhe

Zapfenpflü­cker müssen hoch hinaus – Samen werden zur Zucht neuer Bäume benötigt

- Von dpa-Mitarbeite­rin Birgit Reichert

Für diesen Job muss man fit und schwindelf­rei sein: Zapfenpflü­cker haben ihren Arbeitspla­tz in 50 Metern Höhe. Es gibt kaum Frauen, die für die Samen in den Zapfen die Bäume hochklette­rn. Kathrin Blessing ist eine von ihnen.

Waldrach. Bevor Kathrin Blessing ernten kann, muss sie erst einmal klettern. Sie steigt in ihre Gurte, ergreift die Seile und steigt die Douglasie hoch. Gut 50 Meter hoch. „Es kann schon eine halbe Stunde dauern, bis ich in der Krone bin“, sagt die 35-Jährige in einem Waldstück bei Waldrach (Kreis Trier-Saarburg). Hat sie ihren Arbeitspla­tz in luftiger Höhe erreicht, pflückt sie die Zapfen am Nadelbaum ab und füllt sie in ihren Sack. Blessing aus Biederbach im Schwarzwal­d ist eine der wenigen Frauen, die in deutschen Wäldern als Zapfenpflü­ckerin unterwegs ist. „Uns Frauen kann man an einer Hand abzählen“, sagt die drahtige Frau.

Mehr als 100 Kilogramm Zapfen landen an einem Tag in ihren Säcken. Die grünen und noch geschlosse­nen Früchte enthalten Samen, mit denen in Baumschule­n neue Bäume angepflanz­t werden. „Wenn wir die Samen haben wollen, müssen wir die Zapfen runterhole­n, bevor sie sich geöffnet haben“, erklärt die Baumpflege­rin, die im dritten Jahr dabei ist. Denn wenn die Zapfen herunterfa­llen, haben sie sich zuvor schon geöffnet und die Samen in alle Richtungen verteilt.

Um die 2000 Kilogramm Zapfen ernten Blessing und drei weitere Zapfenpflü­cker über mehrere Tage im Waldracher Wald. Sie gehen an die Firma Eichenberg & Co. Gehölzsame­n GmbH im bayerische­n Miltenberg. „Das gibt Saatgut für neue Bäume“, sagt Prokurist Otmar Schäfer, der bundesweit Zapfenpflü­cker für alle möglichen Baumarten im Einsatz hat. Seine Firma vertreibt die Samen von 400 Baum- und Strauchart­en in alle Welt, vor allem an Baumschule­n: Von Abies alba (Weißtanne) bis Zelkova serrata (japanische Zelkove).

Was als Zapfenpflü­cker am anstrengen­dsten ist? „Wenn man oben ist, und die schweren

Die schweren Säcke mit den frisch geernteten Zapfen müssen die Pflücker Kathrin Blessing (links) und Christoph Schaab aus dem Wald ziehen – ein Knochenjob.

Äste zum Abernten heranziehe­n muss“, sagt Blessing mit harzverkle­bten Fingern. Zudem sei es schwer, die vollen Säcke aus dem Wald zu ziehen. „Es gehört aber dazu.“Eine gefährlich­e Situation habe sie noch nicht erlebt. Brenzlig könnte es werden, wenn plötzlich ein Gewitter aufziehe oder wenn man sich auf dem Baum beim Aufschneid­en der Zapfen mit dem Messer verletzt. Das tue man, um zu prüfen, ob an dem Baum auch Samen in den Zapfen sind.

Die Zapfenpflü­cker kommen gern in den Waldracher Wald. „Sie haben hier viele Zapfen“, sagt Jochen Lingott aus Garmisch-Partenkirc­hen, der an einem Baum 135 Kilogramm geerntet hat. Er macht den Job vor allem, „weil es Spaß macht“.

Nach Angaben von Revierleit­er Michael Gillert kommen die Pflücker bereits seit vielen Jahren in den Wald im Ruwertal – eine Frau ist aber zum ersten Mal mit dabei. „Wir haben vier verschiede­ne Bereiche, die anerkannt sind“, sagt er. Dazu gehörten auch Bestände von Eichen und Weißtanne. Insgesamt umfasst Gillerts Revier 1800 Hektar.

„Bei der Douglasie gibt es in Deutschlan­d zum Hochsteige­n keine Alternativ­e“, sagt Schäfer. In den USA dagegen setze man auch auf Eichhörnch­en: „Die holen die Zapfen runter und verstecken sie. Manche kennen große Nester.“Auch die „Wipfelköpf­ung“werde da betrieben – das komme aber in Deutschlan­d nicht infrage. „Dann könnte man den Baum nur einmal ernten“, sagt Schäfer.

Die frisch geernteten Zapfen werden bei warmer Temperatur getrocknet, bis die Samen herausfall­en. Aus 100 Kilogramm Zapfen gewinnt man ein Kilogramm Samen, aus denen 30 000 bis 40 000 neue Pflanzen gezogen werden können. Bundesweit gebe es mehr als 100 Zapfenpflü­cker, weiß Schäfer.

Trotz der harten Arbeit sieht Blessing nach ihrem Tag im Baum entspannt aus. „Ich finde es schön, dass man den ganzen Tag im Wald ist – mit dem Grün und der Stille.“Man sei oben auf dem Baum ganz alleine für sich. „Man ist in der Spitze und unter einem ist ein grüner Teppich von Bäumen. Man kann dann über alles schauen, das ist sehr schön.“

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Hoch hinaus, aber gut gesichert, klettert Christoph Schaab im Wald bei Waldrach in einer Douglasie. Dort pflückt er die Zapfen.
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