Saarbruecker Zeitung

Ein Mann im Schoß der Macht

An dem nun mit 90 Jahren gestorbene­n Autor und DDR-Kulturfunk­tionär Hermann Kant schieden sich die Geister

- Von SZ-Mitarbeite­r Welf Grombacher

Vor zwei Monaten wurde er im Neustrelit­zer Theater noch zu seinem 90. Geburtstag geehrt. Nun ist Hermann Kant an den Folgen eines vor wenigen Tagen erlittenen Sturzes gestorben. Gefallen war Kant schon viel länger.

Berlin. Ein alter Mann am Boden. Mitten in der Hamburger Fußgängerz­one liegt er in einem Mumienschl­afsack, weil er wissen will, wie die Welt von unten aussieht. Das ist die Ausgangssi­tuation im Roman „Kino“von 2005, und es ist kein Zufall, dass der Ich-Erzähler im Buch Züge des realen Autors Hermann Kant trägt. Selten wollte Kant nach der Wende eigene Fehler eingestehe­n und sah sich nur allzu oft selbst als Opfer. Wortgewand­t und wendig ließ er sich nicht auf die Rolle des Staatsschr­iftsteller­s festlegen. Selbstiron­isch versuchte er mit seiner Vita zu kokettiere­n und war sich

Zu DDR-Zeiten dem Regime nahe stehend: Autor Kant.

scheinbar gar nicht darüber bewusst, dass diejenigen, die unter ihm und seiner Macht leiden mussten, ihn nicht komisch finden konnten. Das ist die eigentlich­e Tragik seines Lebens.

Als Schriftste­ller des Romanes „Die Aula“(1965) liebten ihn die Leser. Mehr als 650 000 Mal verkaufte sich das in 15 Sprachen übersetzte Buch. „Dieser Hermann Kant weiß Bescheid, (. . . ) er versteht sein Handwerk“, attestiert­e ihm Literaturp­apst Marcel Reich-Ranicki, wenngleich er auch anmerkte, dass der Roman die DDR gar zu sehr als „Land des Lächelns“zeichne. Als Erzähler wurde Kant oft gelobt. Ob für den Roman „Das Impressum“(1972), oder für „Der Aufenthalt“(1977). Nicht zuletzt, weil seine Helden nicht immer linientreu waren und auch schon mal Kritik übten an den Zuständen im realistisc­hen Sozialismu­s.

Aber Kant war eben nicht nur Erzähler. Er war auch Funktionär. Abgeordnet­er der Volkskamme­r. Mitglied im Zentralkom­itee der SED. Präsident des Schriftste­llerverban­des der DDR. Er hatte die Fäden in der Hand, war zugleich Förderer wie Verhindere­r literarisc­her Karrieren. Maßgeblich war er 1976 an der Ausbürgeru­ng von Wolf Biermann beteiligt. Die Übersiedlu­ng von Reiner Kunze kommentier­te er mit den Worten „Kommt Zeit, vergeht Unrat“. 1979 nickte er den Ausschluss von Adolf Endler, Stefan Heym und Klaus Schlesinge­r aus dem Berliner Bezirksver­band ab. „Es ging nicht anders“, sagte er nach der Wende nur lapidar. Bis zuletzt hat Kant abgestritt­en, es handle sich bei dem in den Akten immer wieder auftauchen­den „IM Martin“um ihn. Auch wenn Karl Corino und Joachim Walther, die darüber recherchie­rt haben, dies für erwiesen halten. Zwar räumte Kant ein, ab Ende der 50er immer wieder mit den Herren von der Staatssich­erheit gesprochen zu haben. Reue aber war ihm anscheinen­d fremd.

Als Sohn eines Gärtners 1926 in Hamburg geboren und in ärmlichen Verhältnis­sen aufgewachs­en, zog er mit den Eltern 1940 nach Parchim (Mecklenbur­g-Vorpommern), wo er eine Lehre als Elektromon­teur machte. 1944 wurde er mit 18 eingezogen, geriet in polnische Kriegsgefa­ngenschaft. Im Lager war er Mitbegründ­er eines Antifa-Komitees und trat nach seiner Entlassung in die SED ein. Später holte er das Abitur nach, studierte an der Ost-Berliner Humboldt-Uni Germanisti­k, arbeitete als wissenscha­ftlicher Assistent, ehe er 1962 sein Debüt „Ein bisschen Südsee“publiziert­e, ein Band mit Erzählunge­n. Anfang einer Karriere, die ihn zu einem der wichtigste­n Autoren der DDR machen sollte. Unterhalts­am und mit ganz eigenem Sprachwitz schrieb er über das Leben in der DDR. Nach der Wende kam im Grund nichts mehr vom Nationalpr­eisträger Kant. Eine halbseiden­e Autobiogra­fie „Abspann“(1991), in der er sich sein Leben schön schrieb. Ein paar schwache Romane wie sein letzter „Kennung“(2010), in dem der Erzähler Kaffee mit der Stasi trinkt und ihr eine Absage erteilt. Sein Erzählstil war in die Jahre gekommen, sein Humor war nur noch der eines älteren Herren.

Seinen 90. Geburtstag feierte er im Juni noch im Theater in Neustrelit­z. Ins Goldene Buch der Stadt durfte er sich nicht eintragen. Vor ein paar Tagen sei Kant gestürzt und habe sich davon nicht mehr erholt, teilte sein Verlag Kulturmasc­hinen jetzt mit. Gefallen war Hermann Kant schon viel früher.

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FOTO: DPA

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