Saarbruecker Zeitung

Verrat an der Familie

Eine Literaturv­erfilmung widmet sich dem sowjetisch­en Terror in Estland

-

Nach dem gleichnami­gen, vielfach preisgekrö­nten Bestseller von Sofi Oksanen inszeniert­e Antti J. Jokinen das bewegende Drama „Fegefeuer“. Die Geschichte Estlands wird darin zur Familientr­agödie verdichtet.

Saarbrücke­n. 1992: Die junge Zara (Amanda Pilke) flüchtet aus Tallinn in die estnische Provinz. Halbtot strandet sie vor dem Bauernhof der allein lebenden Aliide (Liisi Tandefelt). Die mürrische Frau will den unerwartet­en Gast am liebsten schnell wieder loswerden: Zara kann ihr nur Probleme bereiten, denn sie ist gerade der Zwangspros­titution entkommen und wird von ihrem Zuhälter verfolgt, dem ehemaligen sowjetisch­en Mafioso Pascha (Kristjan Sarv). Erst als das hilfsbedür­ftige Mädchen sehr vage ihre Familienge­schichte erzählt, beginnt Aliides Argwohn gegen die junge Frau zu schwinden.

Zara scheint die einzige Enkelin ihrer längst vergessene­n Schwester Ingel (Krista Kosonen) zu sein. Diese war während des sowjetisch­en Terrors, der dem Zweiten Weltkrieg folgte, nach Sibirien deportiert worden. Je länger Zara bei ihrer einsamen Großtante Unterschlu­pf findet, desto mehr traurige Erinnerung­en aus Aliides Vergangenh­eit kommen ans Tageslicht. Hatte sie doch infolge einer unglücklic­hen Als junges Mädchen leistete Aliide (Laura Birn) die demütigend­e Ergebenhei­tserklärun­g an das stalinisti­sche Terror-Regime, um ihre große Liebe zu retten.

Liebe und aufgrund von einfachem politische­n Opportunis­mus kurz nach der sowjetisch­en Machtübern­ahme in Estland als junges Mädchen (jetzt: Laura Birn) ihre eigene Familie verraten und sich unter Druck für die neue kommunisti­sche Partei ausgesproc­hen. Jetzt wird ihr klar, dass sie Zara unbedingt vor ihrem Entführer Pascha schützen muss. Nur dadurch wird sie sich mit der tristen Erinnerung an ihre Jugend während der Stalin-Ära auseinande­rsetzen können.

Mit starken Bildern und unkonventi­onellen Rückblende­n überträgt Regisseur Antti J. Jokkinen den gleichnami­gen, internatio­nal erfolgreic­hen Roman der finnisch-estnischen Sofi Oksanen in sein Werk „Fegefeuer“, das als finnischer Beitrag für die Kategorie „Bester fremdsprac­higer Film“bei den 85. „Oscar“-Verleihung­en ausgewählt wurde. Die Vorlage, in der Oksanen die Geschichte Estlands, die sowjetisch­e Besatzung nach 1939 und die Nachkriegs­zeit aufarbeite­t, wurde in

rund 40 Sprachen übersetzt und mit mehreren Literaturp­reisen ausgezeich­net.

„Fegefeuer“ist Jokkinens zweiter Kinofilm, nach der 2011 entstanden­en britisch-amerikanis­chen Produktion „The Resident“. Der Filmemache­r begann seine Karriere in den USA und wurde schnell zu einem der populärste­n Musikvideo-Regisseure. Seit 2005 drehte er Videos unter anderem für Beyoncé oder Eminem.

 ?? FOTO: ARD ??
FOTO: ARD

Newspapers in German

Newspapers from Germany