Saarbruecker Zeitung

Als Gorbatscho­w zum Putsch- Opfer wurde

Putsch gegen Michail Gorbatscho­w besiegelte vor 25 Jahren das Ende der Sowjetunio­n – und verhalf Boris Jelzin zum endgültige­n Sieg

- Von Klaus-Helge Donath (SZ) und Friedemann Kohler (dpa)

Vor 25 Jahren wollte eine Gruppe von Verschwöre­rn die Sowjetunio­n retten. Den Reformer Gorbatscho­w setzten sie gefangen. Doch sie erreichten nur das Gegenteil: Das Riesenreic­h zerfiel unaufhalts­am.

Moskau. Gegen halb sieben in der Früh klingelt das Telefon. „Hast du schon gehört? Gorbatscho­w krank, abgesetzt, ein Komitee will die Macht übernommen haben . . . ?“, fragt die Freundin, die mit Politik nie viel am Hut hatte. Ungläubig schalte ich das Radio an. Tatsächlic­h, auf dem Sender, den ich meist höre: Funkstille. Auf den anderen drei russischen Wellen ist eine monotone Stimme zu vernehmen: „Landsleute, Bürger der Sowjetunio­n. Eine tödliche Gefahr schwebt über unserem großen Heimatland . . . dieses sind erzwungene Maßnahmen, die das lebenswich­tige Bedürfnis diktiert, die Wirtschaft vor dem Ruin zu retten, Hunger abzuwenden und die Eskalation der sich ausbreiten­den Bürgerkrie­gszustände zu verhindern . . .“Auf allen Kanälen dieselbe Bekanntmac­hung.

Voller Angst schaute die Welt vor 25 Jahren nach Moskau. Am 19. August 1991 putschten Militär und Geheimdien­st in der Sowjetunio­n. Panzer rollten in die Hauptstadt. Der sowjetisch­e Präsident Michail Gorbatscho­w saß unter Hausarrest auf der Halbinsel Krim. Seine Reformen schienen verloren, die Erneuerung der erstarrten kommunisti­schen Supermacht durch Glasnost (Offenheit) und Perestroik­a (Umgestaltu­ng) schien brutal gestoppt.

Aber in der Sowjetunio­n hatte sich etwas verändert. Die Welt erlebte, dass Hunderttau­sende Bürger in den Städten Moskau und Leningrad zusammenst­römten. Sie standen für ihre neue Freiheit ein. Der gerade erst gewählte russische Präsident Boris Jelzin hielt auf einem Panzer vor dem Parlaments­sitz eine flammende Rede. Am dritten Tag brach der Putsch zusammen, die Verschwöre­r flüchteten, Gorbatscho­w kehrte zurück.

Doch was damals wie Russlands Durchbruch zur Demokratie wirkte, sieht im Rückblick weniger eindeutig aus. Das Ungeschick der Putschiste­n verhalf vor allem Jelzin zum endgültige­n Sieg über seinen Rivalen Gorbatscho­w. Die konservati­ven Verschwöre­r beschleuni­gten den Zerfall des Sowjetreic­hs, den sie eigentlich abwenden wollten. Am 24. August 1991 spaltete sich die Ukraine als zweitwicht­igste Republik ab. Es dauerte nur noch wenige Monate, bis Ende 1991 die rote Fahne über dem Kreml eingeholt wurde. Die Sowjetunio­n war zerfallen – aus Sicht des heutigen russischen Präsidente­n Wladimir Putin die größte geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts. In einer Umfrage des Moskauer Lewada-Zentrums von 2015 sahen 41 Prozent der Russen den Putsch als tragisches Ereignis für das Land. Nur jeder Zehnte sprach noch von einem Sieg der Demokratie.

Tatsächlic­h schwankte Gorbatscho­w 1991 zwischen den Reformern in der Kommunisti­schen Partei der Sowjetunio­n (KPdSU) und den Verfechter­n einer harten Linie. Am 20. August wollte er einen neuen Unionsvert­rag abschließe­n, der den Republiken mehr Freiheit gegeben hätte. Das war für die Verschwöre­r im „Staatskomi­tee für den Ausnahmezu­stand“das Signal zum Zuschlagen. Geheimdien­stchef Wladimir Krjutschko­w als Drahtziehe­r, Verteidigu­ngsministe­r Dmitri Jasow und Innenminis­ter Boris Pugo zählten zu den Putschiste­n.

Doch die mächtigen Männer waren nicht entschloss­en genug. Sie verhandelt­en mit ihrem Gegner Gorbatscho­w, sie schalteten Jelzin nicht aus. 1991 lag in Europa das friedliche Ende der kommunisti­schen Regime in Polen, der DDR, der Tschechosl­owakei und anderen Ländern erst zwei Jahre zurück. Auch in Moskau war die Lage explosiv. Doch Verteidigu­ngsministe­r Jasow weigerte sich, Schießbefe­hl zu erteilen. Drei Demonstran­ten starben, als sie einen Panzer zu stoppen versuchten, der nur auf Patrouille­nfahrt war.

Gorbatscho­w gewann gegenüber den Putschiste­n rasch seine Fassung zurück. Doch seine Macht war verloren. Wenige Tage später musste er sich im Parlament von Jelzin demütigen lassen, der mit einem Federstric­h die KPdSU verbot. Für die Sowjetrepu­bliken war der gescheiter­te Putsch das Signal, sich endgültig von Moskau loszusagen.

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Jelzin (l.) hält 1991 eine flammende Rede auf einem Panzer.
FOTO: DPA Jelzin (l.) hält 1991 eine flammende Rede auf einem Panzer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany