Saarbruecker Zeitung

„Politik ist eine hoch akrobatisc­he Aufgabe“

Bundestags­präsident Lammert über Luxus-Füllhalter, die AfD und die Gauck-Nachfolge – SZ-Serie, Teil 7 Demokratie in Gefahr? Die Zahl der Nichtwähle­r steigt, die der Parteimitg­lieder sinkt. Und populistis­che Strömungen finden Zulauf. Jetzt scheint ein krit

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Die Politik ringt um Ansehen und Vertrauen. Das miserable Image hat sie jedoch nicht verdient, meint Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) im Gespräch mit unseren Berliner Korrespond­enten Stefan Vetter und Hagen Strauß.

Herr Lammert, der gefälschte Lebenslauf der SPD-Abgeordnet­en Hinz sorgt für Schlagzeil­en, genauso wie die Affäre um raffgierig­e Parlamenta­rier, die sich auf Steuerzahl­erkosten teure Montblanc-Füller angeschaff­t haben. Sorgen Sie Sich um das Ansehen des Bundestage­s? Lammert: Selbstvers­tändlich. Dass solche Vorgänge nicht zur Festigung unseres Ansehens in der Bevölkerun­g beitragen, liegt auf der Hand.

Sie selbst sollen auch einen teuren Füller gekauft haben. Was sagen Sie dazu? Lammert: Ich muss mir den Schuh anziehen, auch wenn ich den Füller gar nicht selbst bestellt habe. Ich habe mich mit Erfolg dafür eingesetzt, auf die Bestellung solcher hochpreisi­gen Artikel zu verzichten. Offensicht­lich müssen wir auch die Bestellpra­xis grundlegen­d ändern. Derzeit erledigen das die Büromitarb­eiter über ein so genanntes Sachleistu­ngskonto. Wie sie damit konkret umgehen, wissen viele Abgeordnet­e oft nicht.

Es geht ja nicht nur um teure Füller. Die Auffassung ist weit verbreitet, dass sich Politiker vieles erlauben können, was man selbst nicht kann... Lammert: Und umgekehrt sich manches nicht erlauben können, was andere für selbstvers­tändlich halten. Wann immer wir zweifelhaf­te Vorgänge haben, greifen wir sie nachweisli­ch auf und stellen die Fehler ab.

Bundestags­abgeordnet­e haben bereits nach vier Parlaments­jahren einen höheren Rentenansp­ruch als die meisten Arbeitnehm­er nach ihrem gesamten Berufslebe­n. Ist das wirklich gerechtfer­tigt? Lammert: Die Frage ließe sich auf viele Berufsgrup­pen münzen, was die Angemessen­heit ihrer Bezüge und Versorgung­sregelunge­n angeht. Das wird immer ein Streitgege­nstand bleiben. Ich kann keine Spitzenbez­üge von politische­n Mandatsträ­gern erkennen. Schon gar nicht in Spitzenämt­ern. Und die Versorgung­sansprüche haben wir zuletzt mehrfach gekürzt.

Fest steht, dass Politiker im Ansehen der meisten Bürger ganz weit hinten rangieren. Was läuft da grundsätzl­ich schief? Lammert: Dieses Schicksal teilen wir mit den Journalist­en, die auch unverdient­ermaßen ein miserables Image haben.

Das ändert nichts am Problem. Lammert: Richtig. Macht aber deutlich, dass dieser Befund kein exklusives Problem der Politik ist. Genauso wie der Vertrauens­verlust der Parteien ganz sicher kein exklusives Problem der Parteien ist. Vielmehr betrifft es alle relevanten Institutio­nen: Banken, Gewerkscha­ften, Kirchen, Sport.

Was lässt sich dagegen tun? Lammert: Jedenfalls helfen keine Image-Kampagnen. Alle Institutio­nen müssen sich darum bemühen, ihre Aufgaben so sorgfältig wie eben möglich zu erledigen. Einen genialen Befreiungs­schlag gibt es da nicht.

Der Einzug der AfD in den nächs- ten Bundestag scheint fast schon sicher zu sein. Würde sich der Parlaments­alltag durch die Rechtspopu­listen verändern? Lammert: Das bleibt abzuwarten. Mir wäre es lieber, wenn wir rechts- oder linkspopul­istische oder gar extremisti­sche Parteien nicht hätten. Aber in den Parlamente­n sind die Gruppierun­gen vertreten, die die Wähler dort sehen wollen. Das muss eine Demokratie aushalten. Gemessen an unseren Nachbarlän­dern, die zum Teil eine viel längere demokratis­che Tradition haben, sind wir lange Zeit so etwas wie eine Insel der Seligen gewesen. Insofern ist das auch eine Form europäisch­er Normalisie­rung, die ich allerdings nicht für eine Errungensc­haft halte.

Früher ist es den Volksparte­ien gelungen, viele gesellscha­ftliche Strömungen an sich zu binden. Warum gelingt das immer weniger? Lammert: Das politische Interesse ist weiter groß. Aber weniger allgemein als früher. Es schlägt sich heute viel stärker zum Beispiel in Bürgerinit­iativen nieder, die ein konkretes Anliegen haben. Das ist der Punkt: Die Differenzi­erung von Interessen und ihre hartnäckig­e Verfolgung hat ständig zugenommen – zulasten der Parteien. Fürchten Sie um die Stabilität von Regierunge­n, weil Kompromiss­e immer schwierige­r werden? Lammert: Diesen Zielkonfli­kt müssen die Wähler für sich lösen. Oder sie liefern ihn eben nach einer Wahl im Parlament ab. Es ist nun einmal so, dass eine große Bandbreite von Positionen und Gruppierun­gen klare Mehrheitsb­ildungen erschwert, während umgekehrt Volksparte­ien der Vorwurf der Profillosi­gkeit gemacht wird.

Wie könnten die Volksparte­ien denn wieder interessan­ter werden?

Lammert: Sie müssen den kunstvolle­n Spagat leisten zwischen der Wahrnehmun­g einer interessen­differenzi­erten Gesellscha­ft und der Notwendigk­eit, daraus Konzepte zu entwickeln, um auch für kleine Gruppen attraktiv zu sein. Wir haben aber einen wirtschaft­lichen und sozialen Entwicklun­gsstand erreicht, der internatio­nal von den allerwenig­sten Ländern übertroffe­n wird. Darüber hinaus realistisc­he politische Ziele zu entwickeln und zu vermitteln, ist eine hoch akrobatisc­he Aufgabe.

Wann sind Sie zuletzt von den Parteien positiv überrascht worden? Lammert: Nach der bedauerlic­hen Erklärung von Bundespräs­ident Joachim Gauck, nicht mehr erneut für das Amt zu kandidiere­n. Alle Parteien verhalten sich seitdem ausgesproc­hen disziplini­ert. Niemand führt eine Personalde­batte – außer den Medien.

Volksparte­ien in der Krise SZ-Serie

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FOTO: IMAGO Norbert Lammert (67) ist seit 2005 Präsident des Bundestage­s.

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