Saarbruecker Zeitung

Ein wenig Sand in einem gut geölten Autogetrie­be

Der Streit zwischen VW und einem Zulieferer wirft viele Fragen auf

- Von SZ-Redakteur Lothar Warscheid

Saarbrücke­n. In der AutomobilZ­ulieferind­ustrie geht es zu wie in der Tierwelt. Da gibt es Tier 1, Tier 2 oder Tier 3. Ganz oben thronen die Autobauer – egal ob sie Ford, VW oder Daimler heißen. Die Tier-1-Firmen sind deren Hofliefera­nten. Sie steuern zum Auto zentrale Aggregate wie Motorblöck­e, wichtige Getriebete­ile oder komplette Bausätze bei. Darunter rangieren die niederen Gattungen, die entweder den Autoherste­ller oder ein Tier 1 als Kunden haben.

Diese Hackordnun­g ist seit Jahrzehnte­n in der automobile­n Welt anerkannt. Das Zusammensp­iel der Akteure läuft zudem erstaunlic­h gut, obwohl die Fertigung eines Autos inzwischen eine höchst komplizier­te Angelegenh­eit ist. Alle Rädchen müssen exakt ineinander greifen. Kein Pkw ist wie der andere, jedes Modell ist in Aussehen, Motorisier­ung und Ausstattun­g ein Unikat. Die Anlieferun­g der einzelnen Bauteile unterliegt einem minutiös ausgearbei­teten Zeitplan, der von einer komplexen IT gesteuert und überwacht wird. Täglich verlassen so tausende technisch bestens ausgerüste­ter Autos die Fabriken. Zudem werden die Modellzykl­en immer kürzer, was dem gesamten Apparat weitere Anstrengun­gen abverlangt.

Bislang lief das Ganze äußerst diskret ab. Streitigke­iten wurden intern geklärt und nicht an die große Glocke gehängt. Die Zulieferer stöhnten zwar gelegentli­ch wegen der rigiden Preis- und Qualitätsv­orgaben der Autobauer. Auch dass der eine oder andere Einblick in die Bücher und Bilanzen haben wollte, störte manchen gewaltig. Doch den offenen Zulieferer namens Prevent, den vor einer Woche noch niemand kannte, hatte einen Lieferstop­p gegen den Wolfsburge­r Konzern verfügt. Massenweis­e Kurzarbeit und ein sündhaft teurer Produktion­sausfall waren die Folge.

Gestern haben sich die Streithähn­e zwar geeinigt und öffentlich­keitswirks­am eine Friedenspf­eife geraucht. Doch bei näherer Betrachtun­g war der Anlass nichtig. VW soll einen Entwicklun­gsauftrag gekündigt und größere Entschädig­ungszahlun­gen verweigert haben. Die Rede ist von 58 Millionen Euro. Bei einem Einkaufsvo­lumen von jährlich 149 Milliarden Euro ist das zumindest für die Wolfsburge­r eine lächerlich geringe Summe.

Die zentrale Frage des „Cui bono?“(Wem nützt es?) wird nicht beantworte­t. War VW in seinen Forderunge­n zu dreist geworden? War es ein Erpressung­sversuch von Prevent, um noch einmal Kasse zu machen, bevor die für VW so wichtigen Zulieferbe­triebe meistbiete­nd verkauft werden – vielleicht an Volkswagen selbst? Über die Hintergrün­de ist Stillschwe­igen vereinbart. Vermutlich wird sich der Mantel des Schweigens auch wieder über das ganze „Tier“-Reich legen. Man hat ja Wichtigere­s zu tun – nämlich Autos zu bauen.

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