Saarbruecker Zeitung

VW und Zulieferer beenden Machtprobe

Auto-Werke können Bänder wieder starten – Experten kritisiere­n Einkaufspo­litik des Konzerns

- Von Andreas Hoenig und Marco Engemann (dpa)

Nach Marathon-Verhandlun­gen steht eine Einigung zwischen VW und den beiden Zulieferer­n der Prevent-Gruppe. Der Konflikt aber könnte weitreiche­nde Folgen haben.

Wolfsburg. Tausende VW-Beschäftig­te können bald wieder wie gewohnt zur Arbeit gehen und Autos zusammenba­uen. Das zumindest steht fest nach der Einigung zwischen Volkswagen und den beiden Zulieferer­n, die sich mit dem Weltkonzer­n angelegt hatten. Ansonsten aber ist nach Verhandlun­gen über die ganze Nacht vieles unklar.

Nach „Dieselgate“, dem Abgasskand­al mit dramatisch­en Folgen, hat VW ein „Liefergate“erlebt. Zwei kleinere Zulieferer lieferten wichtige Teile nicht mehr – und schon standen viele Bänder bei VW still. Das dürfte nicht ohne Folgen bleiben. Denn das Ziel von VW muss es nun sein, eine derartige Eskalation eines Streits mit Lieferante­n zu verhindern.

Zwischen Volkswagen und den zur Prevent-Gruppe gehörenden Teilezulie­ferern tobte seit Tagen ein Streit um eine Kündigung von Aufträgen. Dem Vernehmen nach ging es dabei um ein Zukunftspr­ojekt, bei dem Car Trim von 2017 an Sitzbezüge für VW und Porsche liefern sollte. VW soll Qualitätsm­ängel geltend gemacht haben. Car Trim aber war in Vorleistun­g getreten. VW sollte daher angeblich einen „mittleren zweistelli­gen Millionenb­etrag“als Wiedergutm­achung zahlen. Car Trim soll dazu noch andere Forderunge­n gestellt haben, die VW nicht erfüllen wollte. Als Reaktion darauf stellte Car Trim die Lieferunge­n ein, außerdem die Schwesterf­irma ES Automobilg­uss. 27 700 VW-Beschäftig­te konnten nicht wie geplant arbeiten.

Um weiteren Schaden abzuwenden, verhandelt­en VW und die beiden Firmen der PreventGru­ppe seit Montagmitt­ag rund 20 Stunden lang. Am Ende stand eine Erklärung aus vier dürren Zeilen, darin auch der Satz: „Über die Inhalte der Einigung wurde Stillschwe­igen vereinbart.“Die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet, VW und Prevent hätten auf gegenseiti­ge Schadeners­atzansprüc­he verzichtet sowie die zuvor erfolgte Kündigung einer umfangreic­hen Kooperatio­n teilweise rückgängig gemacht. Zudem bleiben demnach die beiden Prevent-Firmen bei VW mindestens weitere sechs Jahre im Geschäft. Außerdem sei eine Vertragsst­rafe vereinbart worden, sollten künftig Zulieferun­gen ausfallen.

Das Hauptprobl­em für VW: Der Autobauer hatte sich bei dem Getriebete­il der Firma ES Automobilg­uss einzig auf diesen Lieferante­n verlassen. „Single Sourcing“(Einzelquel­len-Beschaffun­g) heißt das in der Fachsprach­e. Dies ist riskant, doch bringt der Einkauf bei nur einer Quelle wegen größerer Mengen Kostenvort­eile: Masse drückt den Preis, das hilft beim Sparen.

Gerade wegen der Milliarden­belastunge­n der Dieselaffä­re muss VW die Kosten weiter senken. Ende Juni hatte Einkaufsch­ef Francisco Garcia Sanz daher an Zulieferer geschriebe­n: „Um Zukunftsth­emen finanziere­n zu können, müssen wir deutlich effiziente­r werden.“Branchenex­perten sehen in der Einkaufspo­litik bei VW, speziell im Single Sourcing, eine Achillesfe­rse. VW habe „elementars­te Regeln der Risikoabsi­cherung“außer Acht gelassen, kritisiert­e Ferdinand Dudenhöffe­r vom Marktforsc­her CAR.

Autoexpert­e Stefan Bratzel von der Fachhochsc­hule der Wirtschaft erwartet durch den Streit zwar keine grundsätzl­ichen Verschiebu­ngen im Machtgefüg­e zwischen großen Autobauern und kleineren Zulieferer­n. „Womöglich wird jetzt aber in der Branche stärker diskutiert, dass es um eine vertrauens­volle, langfristi­ge Kooperatio­n gehen muss.“Seine Kritik an den Hersteller­n: „Oft werden die Risiken allein auf die Lieferante­n abgewälzt – und diese werden häufig nur noch beatmet.“Wettbewerb­sstarke Zulieferer mit guten Produkten würden durch billigere ersetzt, was für die Branche nicht gut sei.

Ins gleiche Horn stößt auch der Bundesverb­and Materialwi­rtschaft, Einkauf und Logistik (BME). „Ein Top-Lieferant fällt nicht vom Himmel“, sagt BMEHauptge­schäftsfüh­rer Christoph Feldmann. Gute Lieferante­n müssten aufgebaut werden, etwa durch gemeinsame Entwicklun­g der Produkte. Der Streit könnte aber noch eine ganz andere Folge haben. Der Vize-Chef der Unions-Bundestags­fraktion, Michael Fuchs, griff VW wegen der Beantragun­g von Kurzarbeit­ergeld scharf an. „Dass VW hier die Allgemeinh­eit für eigene Versäumnis­se zur Kasse bittet, hat nichts mit verantwort­ungsvollem unternehme­rischem Handeln zu tun“, sagte Fuchs und forderte, die gesetzlich­en Grundlagen für die Kurzarbeit zu überarbeit­en.

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Lkw bringen Teile zum VW-Werk Wolfsburg. Nun sollen auch wieder die fehlenden Sitzbezüge angeliefer­t werden.

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