Saarbruecker Zeitung

Die blühende Blume der Subkultur – nur Biermann fehlt

Die Ausstellun­g „Gegenstimm­en“im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt Protest-Kunst in der DDR

- Von SZ-Mitarbeite­r Roland Mischke

In verfallene­n Wohnhäuser­n in der DDR blühte ab 1976 eine bunte Subkultur auf. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt einen Teil davon: Skulpturen, Fotografie­n, Plakate und Installati­onen.

Berlin. Wolf Biermann ist alt geworden. Er arbeitet an einem Buch, braucht seine Zeit, seine Kräfte. Einer Einladung der Deutschen Gesellscha­ft e.V., die die Schau im Gropius-Bau organisier­t hat, folgte der in Hamburg lebende Liedermach­er nicht. Er konzentrie­rt sich auf den Herbst, wenn er am 15. November 80 wird und seine Memoiren vorstellt.

Die Organisato­ren waren enttäuscht. Denn Biermann steht für die Teilung der Kunst in der DDR. 1976 war er nach Auftritten in der Bundesrepu­blik ausgebürge­rt worden, das SED-Regime erlaubte ihm, dem bekennende­n Sozialiste­n, keine Rückkehr. Er war zu

Jürgen Schäfers Gemälde „Umarmung“, das 1989 entstand, wenige Wochen vor dem Fall der Mauer.

kritisch, aufmüpfig, frech. Das mögen Staliniste­n nicht. Ihr Willkürakt gegen den einen sollte eine Warnung für die anderen Künstler sein. Sie wurde zur Zäsur, ab 1976 gab es in der DDR zwei Kunstwelte­n: eine offizielle und eine blühende Subkultur.

Der Kurator der Ausstellun­g, Christoph Tannert, hat sich in die Gemengelag­e jener Zeit hineingear­beitet. Etwa 300 bildende Künstler aller Generation­en gab es, sagt er, die sich seinerzeit gegen die staatliche Maßnahme erhoben – in Briefen an Honecker, in halböffent­lichen Protesten in Kirchen, in der Bürgerbewe­gung und in ihren Arbeiten. Sie wurden zu „Gegenstimm­en“, wie die Ausstellun­g tituliert ist.

Eine davon war Jürgen Schäfer, dessen Bild „Umarmung“damals nicht ausgestell­t werden durfte. Das zwei Meter große Ölgemälde zeigt einen Menschen in kantiger Rüstung, aber ohne Gesicht. Er hält einen Raben, würgt ihn oder umklammert den Vogel in der Hoffnung, dass er mit ihm wegfliegt. Dahinter bersten rote Trümmertei­le, eine Welt zerbricht. Das Werk entstand 1989, Wochen vor dem Mauerfall.

80 Künstler sind als „Gegenstimm­en“vertreten. Etwa 25 davon, so Kurator Tannert, sind damals ausgereist, darunter A. R. Penck, Via Lewandowsk­y und Cornelia Schleime, die sich im Westen etablierte­n. Der Großteil sei aber in die „innere Emigration“gegangen und habe nur noch für den „Eigenbedar­f“gemalt, so Tannert. Viele Werke werden hier erstmals ausgestell­t.

Symbolisch für die Endzeit der DDR standen Altbauten und ganze Straßenzüg­e, die abrissreif waren. In herunterge­kommenen Wohnungen, besetzt von Aussteiger­n und Lebensküns­tlern, lebte die Gegenkultu­r zum staatlich beaufsicht­igten Kulturbetr­ieb auf. Mit improvisie­rten Ausstellun­gen, Lesungen und Diskussion­en – die meldepflic­htig waren, woran sich aber niemand hielt. Neben düsteren Aspekten des Lebens im Realsozial­ismus wurde trotzige Lebenslust vermittelt. Genau das zeigt sich in der Ausstellun­g an expressive­n, abstrakten, figürliche­n und dokumentar­ischen Arbeiten, die leise oder laut, subtil oder plakativ die Themen Angst, Flucht und Freiheit durchspiel­en: Wie die nackten Männer auf vier Leinwandme­tern von Hans-Hendrik Grimmling, die große Vögel dazu animieren, sie auf ihren Flügeln aus dem Land zu tragen. Mutig war Wasja Götze, der sich offen gegen die Ausbürgeru­ng Biermanns stellte und 1978 mit seinem „Stilleben mit einem ungebetene­n Gast“einen Stasi-Mann als Schattenfi­gur nachschob. Eine ungeheuerl­iche Provokatio­n, seine Werke waren fortan verboten. Die Subkultur war ein lustvolles Experiment, Vorbilder waren der Surrealism­us, der Punk und Joseph Beuys im Westen. Das geriet grell, auch zynisch und stand für die Auflösung eines siechenden Staates von innen. Aufregende inoffiziel­le Kunst, endlich zu sehen.

Bis 26. September. Mi-Mo 10-19 Uhr. Tel. (0 30) 25 48 60

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