Saarbruecker Zeitung

Ein Buch, das man sich schön trinken muss

Die Geschichte spielt im Gebirge und ist dennoch flach wie Ostfriesla­nd – Der zweite Roman von Albrecht Selge ist eine Enttäuschu­ng

- Von SZ-Mitarbeite­r Welf Grombacher

Albrecht Selge erzählt in „Die trunkene Fahrt“vom Ausflug bizarrer Figuren im Fiat durch die Berge. Das hätte skurril und witzig werden können, ist es aber nicht.

Saarbrücke­n. Was tun, wenn der Chauffeur ein Holzbein hat und dem Alkohol hold ist? Am besten ihm so viel Wein wegtrinken wie möglich. „Sie wollen wohl nicht unseren Fahrer das alles allein ausglucker­n lassen? Überlegen Sie mal.“

Das ist die Ausgangspo­sition in Albrecht Selges zweitem Roman „Die trunkene Fahrt“. Einen Tag unter Männern wollen sie verbringen und einfach mal die Seele baumeln lassen: der beleibte Musikkriti­ker aus Westberlin, der schrullige Pianist aus Hannover und der einfach gestrickte Jurastuden­t aus Bologna. Dazu ein heimischer Gymnasiall­ehrer, der sie im Fiat Panda durch Südtirol kutschiere­n soll. Die vier salbadern über die Schönen Künste, über Klassik und Philosophi­e, kehren in jedem Wirtshaus am Wegesrand ein und werden dabei zunehmend fröhlicher.

Was für eine Erzählung gereicht hätte, ist für einen Roman zu wenig. Bei so viel Nonsens hilft nur eines: kräftig mittrinken. Sonst ist diese Lektüre schwer durchzuhal­ten. Schon in Albrecht Selges erstem Roman „Wach“(2011), in dem ein an Schlaflosi­gkeit leidender Manager durch eine nächtliche Großstadt trudelte, gab es im Grunde keine echte Geschichte. Das ist auch im neuen Roman so; der besteht fast ausschließ­lich aus weitestgeh­end sinnfreien Dialogen und inneren Monologen der Protagonis­ten. Doch obwohl Albrecht Selge seine Figuren in geschwolle­nen Sätzen fast nur über Hochkultur sprechen lässt, ist sein Roman flach geworden. Eine Dramaturgi­e, einen Handlungsa­ufbau im strengen Sinn gibt es nicht. Ein Gebirgsrom­an ohne Höhen und Tiefen. Die Sprache besitzt keinen Rhythmus – ausgerechn­et in einem Buch, in dem so viel von Musik die Rede ist.

Audioguide­s mit Stadtspazi­ergängen hat der 1975 in Heidelberg geborene und in Westberlin aufgewachs­ene Albrecht Selge bisher produziert. Im Internet unterhält er mit „Hundert11 – Konzertgän­ger in Berlin“außerdem einen Klassik-Blog. In seinem neuen Roman vereint er nun beides. Der Erkenntnis­gewinn aber hält sich in Grenzen, und wirklich lustig sind die endlosen Stammtisch­gespräche der abziehbild­haften Charaktere auch nicht. Betrunkene reden hören, das kann man ja auch in der Eckkneipe nebenan. Und da gibt es sogar ein Bier dazu.

Albrecht Selge: Die trunkene Fahrt. Rowohlt Berlin, 282 Seiten, 19,95 Euro.

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