Saarbruecker Zeitung

„Irgendwann reicht es einfach“

Türkische Bodenoffen­sive war offenbar seit Monaten geplant

- Von dpa-Mitarbeite­rin Mirjam Schmitt

Panzer mit flatternde­n türkischen Fahnen rollen tosend in Richtung syrischer Grenze. Die Soldaten – einige schauen mit Sonnenbril­le aus den Luken – sehen stolz aus und winken schaulusti­gen Dorfbewohn­ern zu. Einen Tag nach Beginn der Bodenoffen­sive türkischer Streitkräf­te und syrischer Rebellen gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) in der syrischen Grenzstadt Dscharablu­s rollt am Donnerstag weitere Verstärkun­g über den türkischen Grenzort Karkamis ins Nachbarlan­d. In einer zweiten Phase geht es der Türkei jetzt darum, kurdische Milizen auf die Ostseite des Flusses Euphrat zurückzudr­ängen.

Abgesehen von den hin und wieder vorbeiroll­enden Panzern gleicht Karkamis einer Geistersta­dt. Nur ein paar Männer sitzen auf der Straße, hin und wieder taucht ein Soldat oder Polizist auf. „Wir haben unsere Frauen mit den Kindern weggeschic­kt“, sagt der Kioskbesit­zer Ibrahim. „Das ist viel zu gefährlich wegen der Raketen, die einschlage­n.“Er schiebt einen Splitter über die Ladentheke. „Den habe ich nur ein paar Meter vor meinem Laden eingesamme­lt“, sagt er und deutet auf die Straße. Ein Loch in der Wand der Dorfmosche­e zeugt von einem anderen Angriff der letzten Tage. Verletzt wurde bisher niemand. „Wir haben keine Angst“, sagt Ibrahim. Der 39-Jährige scheint der einzige im Dorf zu sein, der zurzeit alle Hände voll zu tun hat. Ständig gehen Soldaten oder Angehörige der Gendarmeri­e ein und aus, sie kaufen Wasser, Kekse oder Brot. Ihre Abzeichen verraten, dass sie auch aus anderen Teilen des Landes kommen, wie aus den weiter östlich gelegenen Provinzen Mardin oder Sirnak.

Mehr als zwei Jahre lebten die Einwohner von Karkamis Seite an Seite mit dem von der Terrormili­z IS kontrollie­rten syrischen Dorf Dscharablu­s – nur die Grenze war dazwischen. Dass sich die Regierung erst jetzt dazu entschloss­en hat, diesen Zustand zu beenden, nimmt ihr hier dennoch keiner übel. Mit Blick auf den schweren Terroransc­hlag auf eine Hochzeitsg­esellschaf­t vergangene­s Wochenende in der Provinzhau­ptstadt Gaziantep sagt der Elektriker Hikmet: „Irgendwann reicht es einfach.“

Von den Vorbereitu­ngen für die Bodenoffen­sive jenseits der Grenze haben die Leute hier wenig mitbekomme­n. Die syrischen Opposition­ellen, die heimlich von der Türkei aus nach Dscharablu­s eingedrung­en sein sollen, hat niemand gesehen. Zwei Kämpfer eben jener syrischen Opposition wissen mehr. Die 28 und 30 Jahre alten Brüder halten sich in Gaziantep auf, wollen aber in den nächsten Tagen zu ihren Kämpfern der Al-Dschabha al-Schamia in Dscharablu­s hinzustoße­n. Daher wollen sie nicht, dass ihre Namen in der Zeitung erscheinen.

Der ältere der beiden trägt einen gestutzten Bart und ein rosa T-Shirt. Er dreht nachdenkli­ch seine Zigarette in der Hand, als er die Ziele der Rebellen aufzählt: den IS zurückdrän­gen, kein zusammenhä­ngendes kurdisches Gebiet in Syrien und kein Zerfall des Landes – was sich komplett mit den erklärten Zielen der türkischen Regierung deckt. Viele von ihnen seien aus anderen Teilen Syriens über die Türkei zum Grenzüberg­ang Dscharablu­s gebracht worden. Das sei „seit Monaten“geplant gewesen.

Der Jüngere der beiden wirkt etwas aufgeregte­r. Er schaut seinen Bruder mit funkelnden Augen an, wenn er über den syrischen Machthaber Baschar al-Assad spricht. Der dürfe auf gar keinen Fall mit einem Exil etwa beim Verbündete­n im Iran davonkomme­n. „Assad muss zur Verantwort­ung gezogen werden“, fordert der 28Jährige. An eine politische Lösung des Syrienkonf­likts glauben jedoch beide nicht. Die Frage danach lässt sie bitter auflachen. Schließlic­h sagt der ältere: „Nachdem so viele Menschen gestorben sind und nichts passiert ist, wird es auch jetzt keine politische Lösung mehr geben.“

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FOTO: AFP/BULENT KILIC Gestern rollten weitere türkische Panzer über die Grenze nach Syrien. Nachdem die IS-Miliz zurückgesc­hlagen wurde, nimmt die Armee jetzt die syrischen Kurden ins Visier ihrer Kampfmasch­inen.

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