Saarbruecker Zeitung

Viel Freiheit, wenig Sicherheit

Internet-Arbeiter sind gut ausgebilde­t und flexibel, aber nur wenige verdienen gut

- Von Julia Naue (dpa) und Christian Leistensch­neider (SZ)

Crowdworki­ng – mit diesem Stichwort wird ein Arbeitsmod­ell bezeichnet, bei dem der Arbeitnehm­er im Internet seine Dienste anbietet. Der Markt wächst, die Konkurrenz auch. Eine Studie hat nun erstmals die Arbeitsbed­ingungen von Crowdworke­rn untersucht.

Berlin. Es klingt eigentlich ganz toll. Unternehme­n vergeben über Online-Plattforme­n Hilfsarbei­ten oder kreative Projekte an Freiberufl­er, und diese suchen sich dann aus, worauf sie Lust haben. Dieses Arbeitsmod­ell wird als Crowdworki­ng bezeichnet. Ob sich davon wirklich leben lässt, haben nun Wissenscha­ftler der Uni Kassel im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht.

Der überwiegen­de Teil der Crowdworke­r ist laut der Studie gut ausgebilde­t. Knapp die Hälfte habe einen Hochschula­bschluss. Der Anteil der Männer sei geringfügi­g höher als der der Frauen. Gut die Hälfte der Befragten gebe an, dass sie zu unterschie­dlichen Tageszeite­n arbeiten, häufig abends oder nachts. Die durchschni­ttliche Arbeitszei­t betrage knapp 14 Stunden pro Woche.

Die Bandbreite der Jobs im Internet reiche von einfachste­n Tätigkeite­n zum schnellen Nebenverdi­enst bis hin zu komplexen Projekten. Bei den einfachen Arbeiten könne es zum Beispiel um die Recherche von Adressen oder die Verschlagw­ortung von Texten und Bildern gehen. Etwas anspruchsv­oller werde es beim Testen von Produkten und Apps. Sehr hoch seien die Anforderun­gen in der Regel in den Bereichen Design und Programmie­rung.

Entspreche­nd unterschie­dlich seien die Einkommen: Etwa 70 Prozent verdienen laut Studie weniger als 500 Euro im Monat als effektives Einkommen nach Abzug der Gebühren der Plattforme­n, aber vor Steuern. Dabei handele es sich häufig um Nebenverdi­enste. Insgesamt liege das mittlere Einkommen derjenigen, die nebenberuf­lich als Crowdworke­r tätig sind, bei 326 Euro pro Monat. Bei den Crowdworke­rn im Hauptberuf – dies seien rund 20 Prozent der Befragten – betrage das mittlere effektive Einkommen rund 1500 Euro. Etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die ihr Haupteinko­mmen aus der digitalen Erwerbsarb­eit erzielen, sorgt der Studie zufolge nicht für das Alter vor.

Insgesamt sei diese Arbeitsfor­m noch eine Nische, aber die Teilnehmer­zahlen stiegen. „Crowdwork hat in den vergangene­n Jahren ein erstaunlic­hes Wachstum verzeichne­t“, schreiben die Forscher. Hinweise darauf, wie viele Klickarbei­ter in Deutschlan­d tätig sind, liefern ihnen die Nutzerzahl­en einzelner OnlineMark­tplätze. Eine der größten Plattforme­n ist Clickworke­r, ein Viertel der mehr als 700 000 Mitglieder stammt nach Angaben des Anbieters aus Deutschlan­d. Auch auf internatio­nalen Marktplätz­en wie Freelancer, Upwork oder 99Designs sind mehrere Tausend Mitglieder aus dem deutschspr­achigen Raum registrier­t. Bislang nutzten vor allem kleine und mittelstän­dische Unternehme­n die Dienste von Crowdworke­rn, aber auch Konzerne wie die Telekom.

Diese neue Form der digitalen Erwerbsarb­eit hat Kritiker. Der Vorwurf: Firmen zögen sich damit aus ihrer Verantwort­ung zurück, lagern Arbeit an Selbststän­dige aus, die im Internet ums Überleben kämpfen. „Die soziale Absicherun­g wird einseitig von den Crowdworke­rn bestritten“, kritisiert Nadine Müller von der Gewerkscha­ft Verdi. Mindestloh­n, Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall, Kündigungs­schutz, all das gebe es für die Crowdworke­r nicht.

Wenn sich jemand freiwillig für die Selbststän­digkeit entscheide­t, ist das eine Sache, sagt Müller. „Doch wenn Menschen dazu getrieben werden, weil Unternehme­n Kosten sparen wollen, ist das ein Problem.“Problemati­sch sei es auch, wenn die Konkurrenz global ausgeweite­t und bei Lebensund Sozialstan­dards eine Abwärtsspi­rale in Gang gesetzt werde. „Dann wird über den Preis konkurrier­t.“

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FOTO: HEINL/DPA Entspannt arbeiten in angenehmer Umgebung statt im sterilen Büro. So sieht die Theorie der neuen digitalen Arbeitswel­t aus. In der Praxis können viele nicht von selbststän­diger Arbeit im Internet leben.

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