Saarbruecker Zeitung

Der ewige Streit um gestresste Schüler

Die Abkehr vom Turbo-Abi wird in Nordrhein-Westfalen den kommenden Wahlkampf prägen – SPD unter Druck

- Von dpa-Mitarbeite­rin Bettina Grönewald

Acht Monate vor der Landtagswa­hl drängen in NRW Opposition und Bürgerinit­iativen zu Korrekture­n am „Turbo-Abi“. An diesem Wochenende befassen sich auch die Regierungs­parteien damit.

Düsseldorf. „Wir Erwachsene­n versündige­n uns an euch.“So klar äußert sich ein hochrangig­es Mitglied einer Regierungs­partei selten zu Missstände­n. Die nordrhein-westfälisc­he Landtagspr­äsidentin Carina Gödecke (SPD) hat in diesem Monat mit solchen Äußerungen zum Stress der Schüler im „Turbo-Abitur“Aufsehen erregt.

In einer Diskussion mit Jugendlich­en in Herne nahm die altgedient­e Landespoli­tikerin kein Blatt vor den Mund: Es sei gut, dass Schüler sich nicht scheuten, „Scheiße zu nennen, was scheiße ist“. Die erstaunlic­he Äußerung zeigt exemplaris­ch: Acht Monate vor der Landtagswa­hl steht die rot-grüne Landesregi­erung von Hannelore Kraft (SPD) unter hohem Druck, für Entlastung zu sorgen. Und das gilt nicht nur für Nordrhein Westfalen.

Schulpolit­ik war schon in vielen Ländern ein Sargnagel für die Abwahl von Landesregi­erungen. In NRW war der Ärger der Bürger über Mängel im Schulsyste­m bei den Landtagswa­hlen 2005 und 2010 ein Hauptgrund dafür, dass die Wähler zunächst Rot-Grün und anschließe­nd auch Schwarz Gelb die rote Karte zeigten.

Auch für die Landtagswa­hl 2017 zeichnet sich bereits deutlich ab: Schulpolit­ik wird wieder ein Wahlkampfs­chlager der Opposition. An diesem Samstag wollen sich SPD und Grüne personell und inhaltlich dagegen wappnen. In Bochum sollen die Sozialdemo­kraten über eine mögliche Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium (G 9) und andere Modelle diskutiere­n und abstimmen. Parallel wählen die Grünen in Oberhausen ihr Personalta­bleau für die Landtagswa­hl. Es gilt als sicher, dass sie die Schulminis­terin und stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin Sylvia Löhrmann wieder zu ihrer Spitzenkan­didatin küren.

Nachdem Löhrmann in den vergangene­n Jahren – trotz anhaltende­r Kritik vor allem aus Bürgerinit­iativen – eisern an G 8 festhalten wollte, gibt es inzwischen eine Kehrtwende. Sowohl die Schulminis­terin als auch die SPD haben nun neue Reformvors­chläge vorgelegt – unterschie­dliche allerdings. Beide sehen aber keine grundsätzl­iche Abkehr von G 8 vor, sondern unterschie­dliche Flexibilis­ierungen mit mehr Möglichkei­ten, auch über einen längeren Weg zum Abitur zu kommen.

Löhrmann hat aber bereits klargestel­lt: Weder im laufenden noch im nächsten Schuljahr sollen Strukturve­ränderunge­n übers Knie gebrochen werden. FDP-Chef Christian Lindner befürchtet eine Hängeparti­e: „Es herrscht Chaos in der Schulpolit­ik. Keiner weiß, was kommt.“CDU und FDP sind auch gegen eine Abkehr von G 8, erwägen aber auch größere Wahlfreihe­it. Mehrere Bundesländ­er sind in den vergangene­n Jahren nach massiven Elternprot­esten zumindest teilweise zu G 9 zurückgeke­hrt.

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FOTO: GERTEN/DPA Die grüne Schulminis­terin Sylvia Löhrmann will G8 nicht abschaffen, nur reformiere­n.

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