Die unglaubliche Geschichte des Hussein K.
Im Fall Freiburg geht es jetzt auch um das Versagen von Behörden – De Maizière beschuldigt Griechenland
Mordfall Freiburg: Was ist schief gelaufen? Der Weg von Hussein K., der eine Studentin getötet haben soll, reicht von Griechenland bis nach Deutschland – und scheint mehr als eine Verkettung unglücklicher Umstände.
Freiburg. Wie kann sowas sein? Warum war es möglich, dass ein Flüchtling quer durch Europa reist, quasi unterwegs in Griechenland wegen einer Gewalttat zu zehn Jahren Haft verurteilt wird, und zweieinhalb Jahre später in Freiburg die 19-jährige Maria L. mutmaßlich vergewaltigt und ermordet? Die unglaubliche Geschichte von Hussein K. ist letztlich auch ein Beleg für die zeitweise Überforderung europäischer Behörden mit dem Zustrom von Flüchtlingen.
Wie konnte er unentdeckt bleiben? Auf der Suche nach Schuldigen wird in Deutschland in Richtung Griechenland gezeigt. Aber ist das fair? Nach bisherigen Erkenntnissen kam Hussein K. im Januar 2013 im Schatten tausender Flüchtlinge nach Europa. In einer Zeit also, in der die Datenbank Eurodac zur Registrierung aller samt Fingerabdrücken noch im Aufbau war. Dass Eurodac die Fingerabdrücke von Hussein K. nicht fand, als er 2015 nach Deutschland kam, muss also nicht mit Schlamperei griechischer Behörden zusammenhängen. Problematischer ist eher die Tatsache, dass der junge Mann, der im Februar 2014 in Griechenland wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und nach anderthalb Jahren wieder freigelassen wurde, nicht europaweit zur Fahndung ausgeschrieben wurde, als er gegen Bewährungsauflagen verstieß und verschwand.
Griechenland habe damals unter internationalem Druck gestanden, erinnert sich der auf Strafrecht spezialisierte Anwalt Giorgos Stamatopoulos, seine völlig überfüllten Gefängnisse zu entlasten. „Legitim und völlig gesetzeskonform“sei die Freilassung gewesen, heißt es in Athen. Hussein K. profitiert 2015 von der staatlichen Anordnung, Jugendliche vermehrt frühzeitig freizulassen.
Er bekommt aber die Bewährungsauflage, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden – was er aber nie tut, sondern untertaucht. Warum das keine Konsequenzen hat, das lässt sich wohl nur mit Chaos erklären, welches die griechischen Behörden ob des Zustroms von Migranten erfasst habe, berichten Beobachter.
Weder Interpol noch das Infosystem der SchengenStaaten wurden alarmiert. Jedenfalls ist Hussein K. dort nicht registriert, als später in Deutschland seine Fingerabdrücke genommen werden. Bei allem muss man sich erinnern: Selbst deutsche Behörden mit weniger Fällen sollen damals den Überblick verloren haben.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sucht die Schuld in Griechenland. Es sei ein sehr ärgerlicher Vorgang. „Wir werden das sicherlich mit der griechischen Seite auch zu besprechen haben.“De Maizière nennt vier Datensysteme: Die Flüchtlings-Datenbank „Eurodac“, das Schengener Informationssystem, das Visa-Informationssystem und Sicherheitsdatenbanken wie Inpol. „Diese Daten sind bisher nicht miteinander verknüpft.“
Unter dem Strich fällt Hussein K. immer wieder durchs Raster. Am 12. November 2015 kommt er bei der Polizei in Freiburg an. Er gibt an, ein Flüchtling aus Afghanistan zu sein und ohne Dokumente über Österreich eingereist zu sein.
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg wird er zunächst – wie üblich – von der Bundespolizei erkennungsdienstlich begutachtet. In den Akten wird das Geburtsdatum 12. November 1999 festgehalten. Ob das stimmt, ist noch unklar. Deutsche Behörden gehen davon aus, dass Hussein K. erstmals in Europa registriert wird. Auch bei Interpol finden die Daten keine Entsprechung. Wie sollen sie auch? Hätten die Griechen Hussein K. zur Fahndung ausgeschrieben, wäre er an dieser Stelle aufgeflogen, sagt André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
Die nächste Behörde, die sich mit Hussein K. befasst, ist das Jugendamt Freiburg. Als Unbegleiteter Minderjähriger Ausländer muss er sich einem Clearing-Verfahren unterziehen, bei dem sich ein Sozialarbeiter ein Bild verschafft. Hätte ihm auffallen können, dass er es mit einem verurteilten Gewalttäter zu tun hat? Wohl eher nicht.
Das nächste Raster, durch das Hussein K. fällt, ist beim Bamf zu finden. Das Bundesamt befasst sich mit ihm, als Mitte Februar 2016 ein Antrag auf Asyl eingeht. Doch bleibt der Antrag monatelang unbearbeitet – wegen Überlastung. Laut Bamf hätte Hussein K. demnächst einen Termin bekommen, wo seine Vorgeschichte hätte entdeckt werden können. Aber zuvor kam Freiburg.
„Wir werden das mit der griechischen Seite zu besprechen haben.“Bundesinnenminister Thomas de Maizière