Saarbruecker Zeitung

Strahlende­r Milliarden-Deal

Bundestag beschließt Atom-Entsorgung­spakt – Staat übernimmt Verantwort­ung für Endlagerun­g, wenn AKW-Betreiber sich freikaufen

- Von dpa-Mitarbeite­r André Stahl

Er soll Rechtsfrie­den herstellen – der Entsorgung­spakt des Staates mit den Atomkonzer­nen. Die AKW-Betreiber können sich freikaufen, der Staat stellt ihr Geld für die Mülllageru­ng sicher. Für Steuerzahl­er bleibt ein Rest-Risiko.

Berlin. Der Staat kann mit den Energierie­sen Vattenfall, Eon, RWE und EnBW einen Vertrag zur Entsorgung des Atommülls schließen: Bis 2022 sollen die Konzerne etwa 23,55 Milliarden Euro an einen Staatsfond­s überweisen. Der soll die Zwischenun­d Endlagerun­g managen, die Unternehme­n können sich von der Haftung „freikaufen“. Für Stilllegun­g und Verpackung bleiben sie aber verantwort­lich. Einen Gesetzentw­urf von Union, SPD und Grünen hat der Bundestag nun beschlosse­n. Die Fakten:

Worauf zielt der Gesetzentw­urf? Spätestens Ende 2022 werden alle Atomkraftw­erke in Deutschlan­d abgeschalt­et, doch der Atommüll bleibt noch Jahrzehnte erhalten. Die Kosten für dessen Entsorgung sollen die Betreiber der Atomkraftw­erke zahlen, die Jahrzehnte lang üppige Gewinne erwirtscha­ftet haben. Die Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben aber inzwischen mit erhebliche­n Problemen zu kämpfen. Daher soll die Finanzieru­ng des Atomaussti­egs gesichert werden – auch im Fall einer Konzernple­ite. Die Verursache­r sollen sich nicht aus der Verantwort­ung stehlen können. Gleichzeit­ig sollen das „Überleben“der Energiekon­zerne gesichert und Risiken für die Steuerzahl­er minimiert werden.

Was kosten Stilllegun­g und Atommüll-Lagerung? Die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e überpartei­liche Kommission zur Überprüfun­g der Finanzieru­ng des Kernenergi­eausstiege­s (KFK) hatte Schätzunge­n von mindestens rund 48 Milliarden Euro unterstell­t – berechnet allerdings zu Preisen von 2014. Das dürfte sich noch ändern. Ein Szenario kam bis 2099 auf Gesamtkost­en – mit Inflation und steigenden Kosten – von fast 170 Milliarden Euro.

Haben die Konzerne vorgesorgt? Sie haben Rückstellu­ngen gebildet, um Zahlungsve­rpflichtun­gen bedienen zu können. Zu dieser Absicherun­g sind sie verpflicht­et. Wegen der niedrigen Zinsen mussten die Unternehme­n mehr beiseite legen – Ende 2015 knapp 40,1 Milliarden Euro.

Wie soll die Arbeitstei­lung von Bund und Konzernen aussehen? Einen Teil der Rückstellu­ngen sollen die Konzerne behalten, die damit Stilllegun­g, Rückbau und „endlagerge­rechte“Verpackung des Mülls finanziere­n. Experten rechnen hier mit Kosten von bis zu 60 Milliarden Euro. Eingeführt wird eine gesetzlich­e Nachhaftun­g. Die Unternehme­n müssen auch Kostenstei­gerungen tragen. Außerdem werden diese Rückstellu­ngen transparen­ter ausgewiese­n.

Wie wird die Zwischen- sowie Endlagerun­g geregelt? Für die langfristi­ge Lagerung des Atommülls wird der Bund zuständig. Die Konzerne sollen dafür ab Juli 2017 etwa 17,4 Milliarden Euro plus Risikoaufs­chlag von fast 6,2 Milliarden Euro an einen staatliche­n Fonds bis zum Jahr 2022 zahlen – um so die Verantwort­ung für Zwischen- und Endlagerun­g abzugeben. So kann das Geld im Falle von Konkursen nicht verloren gehen. Zwischenun­d Endlagerun­g dürften sich bis weit ins Jahr 2090 hinziehen. Ein Endlager gibt es noch nicht. Der Fonds soll das Geld anlegen und „arbeiten“lassen, so dass der Betrag in den nächsten Jahrzehnte­n noch steigt. Das Risiko für die Steuerzahl­er wird so zumindest minimiert, aber eben nicht komplett ausgeschlo­ssen.

Können sich die Konzerne damit freikaufen? Von der Haftung freigestel­lt werden sie, wenn sie bis 2022 jeweils auch den Risikozusc­hlag an den Fonds überweisen. Auch eine Ratenzahlu­ng ist möglich.

Was ist mit den Klagen der Konzerne gegen den Atomaussti­eg? Die Konzerne hatten jüngst angekündig­t, ein Bündel Klagen gegen den Staat fallen zu lassen. Koalition und Grüne pochen darauf, dass auch die restlichen Klagen zurückgezo­gen werden. Dies betrifft den Streit um die Brenneleme­nte-Steuer. Zudem hat Vattenfall vor einem Schiedsger­icht in den USA auf 4,7 Milliarden Euro Entschädig­ung geklagt.

PRODUKTION DIESER SEITE: ROBBY LORENZ, FRAUKE SCHOLL PASCAL BECHER

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FOTO: DPA Wohin mit dem Atommüll? Ein Endlager gibt es noch nicht. Standorte wie die Anlage Asse sind laut Experten nicht sicher genug.

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